Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)
Stadtschluchten. Geruchlose, neutrale Schwärze atmete aus dem Spalt und verweigerte jede Tiefenschärfe. Ein zerknülltes Taschentuch, hinter den Eierschalen hergeworfen, sank in die Spalte und verschwand gleichfalls, als hätte sich eine schwarze Klappe über ihm geschlossen. Bäuchlings versenkte ich einen Arm bis zur Schulter im Spalt und versuchte, den Grund zu erreichen, griff ins Leere, tastete in einer rührenden Bewegung herum, fühlte keinerlei Begrenzung. Ich ruderte im Nichts, bog den Arm in Richtung meines Bauchs, als könnte ich mich durch den Fels, auf dem ich lag, von unten anfassen, und tatsächlich durchdrang mein Arm den Stein, während ich selbst in den Stein einsank, der Stein seinerseits mich durchdrang.
Sehr langsam zog ich den Arm unter mir hervor, brachte meine steifen Glieder in eine aufrechte Position und hielt die Rechte vors Gesicht. Äußerlich unversehrt, doch eiskalt und taub war sie, gefühllos mit einem schmerzhaften Kribbeln in den Fingerspitzen, als hätte ich in ein Nadelkissen gefasst. Stechende Schmerzen, die sich bis in die Handfläche ausbreiteten und von dort in den Unterarm aufstiegen. Jetzt kam das Unbehagen. Ein Zusammenpressen des Gehirns, als würde es von der Schädelbasis langsam an der Hirnschale flach gequetscht. Ich hatte Angst. Kein menschliches Wesen außer mir war auf der Hochebene zu sehen. Die ungeheure Tiefe der Kaverne unter mir und die dünne, durchlässige Steindecke, auf der ich saß, verursachten eine Starre, die es mir unmöglich machte, mich zu bewegen. Und weil mir nichts anderes einfiel, warf ich mit behutsamen Bewegungen meine Sachen ins Loch. Essensreste, Taschenmesser, Rucksack, Portemonnaie und Ausweis, ja selbst die Schuhe und die zerrissenen Socken. Barfuß machte ich mich auf den Weg, ging behutsam weiter. Nach und nach lief das Himmelsblau aus, und das Grau der Felsebene verschmolz mit dem Grau darüber, ich bemerkte es zuerst nicht, denn ich hielt den Kopf gesenkt, achtete auf jeden Tritt. Viele Stunden musste ich gegangen sein, Wind riss an meinen Haaren und Kleidern.
Ein warmer Südwind, der mir in Böen ins Gesicht blies. Grau verwischte in Grau, durchsetzt mit bläulichen und gelben Flecken, selbst Wegmarkierungen waren keine mehr zu sehen, als weit vor mir eine helle Gestalt auftauchte. Ich blieb stehen und beobachtete sie. Dann rief ich. Die Gestalt, die mich aufgrund des stehenden Windes nicht zu hören schien, ging weiter, bewegte sich von mir weg. Ich ging schneller, meine müden Füße knickten in den Knöcheln ab, und die rauen Steinflächen rissen die Sohlen auf.
Erschöpft blieb ich stehen. Die Gestalt war ganz in Weiß gekleidet, ihr sehr langes Haar fiel wie eine filzige Decke auf den Rücken. Sie ging voran, sah nicht zurück, doch wenn ich stehen blieb, blieb auch sie stehen, sodass sich unser Abstand nicht vergrößerte, aber trotz all meiner Anstrengungen, sie zu erreichen, auch nicht verringerte. Ihr weißes Gewand schien aus einem schweren Stoff gewoben zu sein, das der Wind ihr so fest an den Leib presste, dass ich die Knochen ihres mageren Körpers darunter erahnen konnte. Ich kniff die vom Wind tränenden Augen zusammen, konnte jedoch keine weiteren Einzelheiten erkennen. Als ich mich wieder in Bewegung setzte, ging auch sie ungerührt von der Heftigkeit des Windes, der Härte des Gesteins mit gleichmäßigen, sparsamen Bewegungen weiter. Ich ging hinter ihr her und fragte mich, ob ich sie führte oder sie mich, denn sie ließ nicht zu, dass sich der Abstand zwischen uns veränderte, und auch nicht, dass die Verbindung zwischen uns zerriss. Auch ich achtete jetzt auf meine Kraft, ging stetig, setzte meine Füße sorgfältig und senkte die Stirn gegen den Wind. Nur ab und zu sah ich nach der Gestalt, und als der anfallende Wind sich für einen kurzen Moment legte, rief ich noch einmal so laut ich konnte und beschleunigte unter Aufbietung meiner letzten Kräfte, um sie einzuholen, blieb wieder stehen, holte tief Luft, sammelte den Atem unter dem Bauchnabel und schrie mit großem Druck in ihre Richtung, dass sie auf mich warten solle. Jetzt blieb sie stehen und drehte sich nach mir um.
Alle Vorsicht vergessend und aus Angst, sie könnte weitergehen, bevor ich sie erreicht hatte, rannte ich ihr entgegen, stolpernd, Schritt für Schritt mit stechenden Sohlen, doch kurz bevor ich sie erreicht hatte, wandte sie sich ab, und mir fiel nichts anderes ein, als sie mit einem dämlichen Hallo anzusprechen. Sie drehte den Kopf
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