Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)
zwischen den Laken wälzte und mir schlecht wurde vor hilfloser Wut über meine unbeantworteten Fragen. Drängend und zersetzend. Eine Mischung aus Zorn und Verzweiflung trieb mich dann durch die Wohnung und hinaus in die Straßen der Stadt, wo die eiserne Leere fehlender Antworten sich auflöste und einer erschöpften Resignation Platz machte. Vor Müdigkeit schlurfend, schleppte ich mich zurück in die Wohnung und schlief tief und traumlos bis zum Morgen, wo ich wieder in der Gegenwart des Es-ist-wie-es-ist anlangte. Endlich. Wieder schwamm ich hinaus ins endlose Blau, nachdem ich, durch das weitläufig mäandernde Adernsystem aus Schafspfaden in der Macchia strolchend, an einen jähen Absturz der Klippen ins opalene Meer gelangt war. Tief unter mir lag in der felsumstandenen Bucht die blasse Sichel eines kaum bevölkerten Kiesstrands. In zahllosen Schlangenlinien breitete sich die in ungeheurer Bläue daliegende Fläche des libyschen Meers aus, das Seismogramm einer brennenden Welt. Ein heißer Windstoß fuhr mir ins Haar, zerrte an meinen Leinenhosen, trug mir den Brandgeruch nach, stockte plötzlich, als hielte die Welt den Atem an, und in der Stille hörte ich das Geräusch des startenden Motors und sah unser Auto in einer rostroten Staubwolke davonfahren, mitten hinein ins brennende Land. Schwarze Rauchwolken unter dem Ida. Paule fuhr dem Glutfeld entgegen, das wir eben in fliegender Hast hinter uns gelassen hatten. Brennende Olivenhaine, Rauchschwaden, Flammen bis an den Straßenrand, wir waren im Schritttempo gefahren, hatten nicht gesprochen, im Wagen war es glühend heiß geworden. Die knorrigen Bäume standen mit loderndem Haar, aus der steinalten Rindenhaut quoll Wasser und verdampfte zischend auf der glühenden Erde. Wie schwarze Regentropfen fielen die verschrumpelten Ölfrüchte aus dem brennenden Geäst. Paule kletterte nach hinten auf die Rückbank, wo sie einen besseren Ausblick hatte. Sie schrie und staunte vor Sensationslust. Jetzt fuhr sie zurück in die brennende Landschaft.
Damals dachte ich, ich würde sie eines Tages verstehen. Ihre Impulsivität, ihre Unberechenbarkeit, ihre klirrende Unabhängigkeit würde ich, wenn nicht lieben, so doch begreifen. Wie hinreißend, wenn ihre Fantasien uns beide meinten, wie aufreibend, sobald ich ausgeschlossen war! Der Wagen verschwand im Rauchfeld des Flächenbrandes, aus dem Helikopter herausflogen, um an der Küste Wasser zu schöpfen und zurückzufliegen. Die flappenden Rotorblätter wirbelten Gischtnebel auf, während sie den lächerlich kleinen Behälter an seiner endlosen Schnur hineintauchten und im Davonfliegen einen großen Teil des Wassers aus dem gekippten Eimer wieder verloren. Ich kletterte den Felshang zum Strand hinunter, legte die Kleider ab, bündelte sie und beschwerte sie mit den Schuhen. Dann schwamm ich hinaus ins Blau.
Mit den dicken weichen Stiften und Pinseln, mit kleinen Schwämmen, ja mit den Fingern grundierte und malte ich, wässerte und wischte. Farben, Flächen, Konturen liefen ineinander, meine Bilder lösten sich vom Konkreten, wurden schattig und weich, die Übergänge unsichtbar, alle Gegenstände schemenhaft. Und aus dem Nebel des Ungefähren lösten sich mit wenigen kalligrafischen Pinselstrichen die Figuren, traten deutlich hervor, jedoch mit variierter Strichbreite. Paule als Alte. Ich malte sie als alte Frau, ließ das Hexenhafte ihres Wesens deutlich werden, imaginierte sie fern von jeder Milde, von allem Sanftmut, aller Abgefundenheit, die ein hohes Lebensalter mit sich bringen konnte. Nicht bei ihr. Ihr irrer Blick hatte noch immer das Suchende, Gierige, Unerlöste. Ich bannte die Geister der Zukunft, die Hoffnungen, ich löschte sie in ihrem Gesicht alle aus. Um es trocknen zu lassen, legte ich das Bild auf den Schrank.
Dann war ich frei für das Wettbewerbsprojekt, der Abgabetermin rückte näher, ich musste mich beeilen. Und wie immer, wenn mir keine Aufschubmöglichkeit mehr blieb, ging mir die Arbeit gut von der Hand. Ich entschied mich für den Vogel-und-Müll-Entwurf und begann zu scribbeln. Als die Vorzeichnungen fertig waren, ging ich aus Tuschen, brauchte aber für die Reinzeichnungen länger als geplant und konnte mich lange nicht für einen Font entscheiden. Auf einmal wurde die Typo überaus bedeutsam, und ich kam tagelang nicht zu einer Entscheidung, bis ich mich entschloss, die Texte von Hand zu lettern, und in den Ausdrucken mit der Amis-Schablone die Linien zog, dann das
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