Atomgewicht 500
hatte, ihn jetzt aber wieder als einen vollkommenen Ehrenmann und vertrauenswürdigen Beamten der United schätzte.
Was der verborgene Draht aber in den letzten Tagen aus dem Zimmer Chelmesfords an seine Ohren getragen hatte, war nicht geeignet gewesen, ihn heiter zu stimmen. Immer mehr drehten sich die Besprechungen des Präsidenten mit Clayton um die Dupont Company und die Person des deutschen Doktors.
„Es war ein Fehler, daß wir ihn gehen ließen”, meinte Clayton auf eine unwirsche Bemerkung des Präsidenten. „Jetzt sitzt er bei der Konkurrenz, und wir wissen nicht, was er treibt.”
„Darüber wollte ich auch mit Ihnen sprechen”, sagte Chelmesford mit einem Blick auf seinen Notizblock; „unsere Nachrichtenabteilung ist keinen Schuß Pulver wert. Warum versagt die Berichterstattung aus Salisbury vollständig?”
„Ich habe bereits durchgegriffen”, erwiderte Direktor Clayton. „Miller, Brown und Jefferson haben Briefe bekommen, die sie sich nicht hinter den Spiegel stecken werden.”
„Miller, Brown und Jefferson”, murmelte Tom White in seinen Kleiderschrank hinein. „Die Namen will ich mir merken, den Leuten muß Spinner auf die Sprünge kommen.”
Die Unterredung im Zimmer des Präsidenten ging weiter und entwickelte sich in einer solchen Weise, daß Mr. White es für geraten hielt, nach Block und Bleistift zu greifen und sie mitzustenographieren. Wenn Chelmesford im Ernst daran dachte, eine der mannigfachen Möglichkeiten, die er jetzt mit Clayton erörterte, wirklich in die Tat umzusetzen, dann konnte die Lage für Dr. Wandel bedenklich werden. Auch für die Company war sie dann wenig erfreulich.
Während er die Worte des Präsidenten und Claytons in Eile mitschrieb, drängte sich ihm die Frage auf: Wie ließ sich die Gefahr von dem Doktor abwenden? Auf irgendeine Weise mußte man Melton scheinbar zu einem Erfolg verhelfen. Sobald der in seinem Autoklav etwas auch nur halbwegs Brauchbares zustande brachte, würde die United vorläufig Ruhe halten, und Dr. Wandel konnte bei der Company ungestört weiterarbeiten. Wenn der Deutsche doch nur schon einen Erfolg hätte! Wenn man ihm, Tom White, ein paar Proben nach Detroit schicken könnte! Mit Wonne würde er sie dem Professor in seinen Autoklav schmuggeln und ihn weiter zum besten halten. Aber neue strahlende Substanz mußte er dazu haben.
Es war ein langer, inhaltsreicher Bericht, den Tom White am Abend dieses Tages für Mr. Spinner verfaßte. So umfangreich wurde das Schreiben, daß er davon absehen mußte, es zu verschlüsseln, und eine andere Art der Beförderung wählte. Diesmal ging über die übliche Deckadresse eine einfache Drucksache an Onkel Joshua in Salisbury ab. Sie enthielt, wie unter dem Kreuzband deutlich ersichtlich war, die neueste Ausgabe eines illustrierten Magazins. Daß zwischen den Druckseiten der Sendung die Blätter des Berichtes steckten, war dagegen nicht zu sehen, und ohne Zwischenfall erreichten sie auf diese Weise ihren Bestimmungsort.
Mr. Spinner las sie mit größtem Interesse. Mit Befriedigung nahm er davon Kenntnis, daß der Dienst der Company gut arbeitete und die Agenten der United lahmgelegt hatte. Da er von drn Maßnahmen Dr. Wandels nichts wußte, schrieb er den Erfolg natürlich seiner eigenen Abteilung zu. Aber je weiter er beim Lesen kam, desto mehr vertieften sich die Falten auf seiner Stirn.
Achtundvierzig Stunden bevor Tom White seinen Berieht an Mr. Spinner zur Post gab, waren jene Briefe abgegangen, von denen Tom White Clayton zu Chelmesford hatte sprechen hören, und sie verfehlten ihre Wirkung nicht.
So war die Lage, als Jefferson seinen Brief aus Detroit bekam, in dem ihm mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit mangelnde Eignung für seinen Posten zum Vorwurf gemacht wurde. Er erhielt ihn am Freitagabend und entschloß sich daraufhin, den letzten Trumpf auszuspielen, den er noch zurückbehalten hatte.
Der Trumpf — er hieß Mrs. Boyne — war eine mit Geistesgaben nicht besonders gesegnete Witwe in der Mitte der Vierziger und gehörte zu der Besenbrigade, der die allnächtliche Säuberung der Büros in dem Werk der Company oblag.
Bei seiner Wirtin, der gegenüber er sich als Journalist ausgab, hatte Jefferson sie zufällig kennengelernt und aus einer unbestimmten Ahnung heraus, daß sie später einmal nützlich sein könnte, die Bekanntschaft nicht einschlafen lassen. Jetzt griff er darauf zurück. Für offene Spionage wäre die biedere Mrs. Boyne wohl kaum zu haben gewesen. Aber
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