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Atomgewicht 500

Atomgewicht 500

Titel: Atomgewicht 500 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Dominik
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legte es behutsam auf das freie Ende des gläsernen Fadens.
    Äußerst gering war die Masse des Stäubchens, aber unendlich empfindlich war auch der feine Faden, der es tragen mußte. Ein wenig bog er sich doch unter der Belastung. Um vier Teilstriche tiefer stand sein freies Ende jetzt vor der Skala.
    „Wir haben es ganz gut getroffen. Ziemlich genau vier Tausendstel eines Milligramms. Für ein Vollbad wird es nicht zuviel sein.”
    Er ließ das Stäubchen wieder in die Glasschale fallen und legte einen Deckel darauf, während er weitersprach.
    „Kommen Sie mit, Slawter. Wir wollen in Ihr Laboratorium gehen. Das Becken dort faßt zweihundertfünfzig Liter. Da wollen wir versuchen, was unser Stoff kann.”
    Rauschend strömte das Wasser in das große Steingutbecken und füllte es allmählich bis zum Rand.
    „Das wird's tun”, sagte Dr. Wandel. Slawter drehte den Hahn wieder zu und blickte auf ein Thermometer, das in der Wanne schwamm.
    „Ein etwas kühles Vergnügen, Doktor”, meinte er, „nur acht Grad Celsius; man merkt, daß unser Leitungswasser aus den Bergen kommt.”
    „Es wird nicht lange so bleiben”, erwiderte Dr. Wandel, nahm den Deckel von der kleinen Glasschale ab und ließ sie in das Wasser gleiten. Wenn etwas in der Schale war, so mußte es sich jetzt im Wasser befinden.
    „Sie meinen, Doktor Wandel”, fragte Slawter, „daß dieses fast unsichtbare Stäubchen die Wassermenge hier — es ist ja wirklich ein richtiges Vollbad — merklich erwärmen kann?”
    „Ich erwarte, mein lieber Slawter, daß das Wasser in zwei Stunden zum Kochen kommt. Es ist eben fünf Uhr; um viertel sechs spätestens werden wir schon merken, wie unser Stoff arbeitet.”
    Er zog sich einen Stuhl an das Becken heran und setzte sich. Slawter folgte seinem Beispiel.
    „Sie nannten das Stäubchen winzig; ja, das ist richtig”, nahm der Doktor die Unterhaltung wieder auf, „aber wir wollen eines nicht vergessen, daß immerhin ein paar Trillionen Atome in ihm enthalten sind. Die gehen jetzt in Lösung.”
    Er schaute wie gebannt auf das Wasser in dem Becken, als ob er die Vorgänge, so wie er sie Slawter weiter schilderte, körperlich sähe. „Die strahlenden Atome schießen zwischen den Molekülen des Wassers dahin und prallen milliardenfach von ihnen ab. Aber trotz alledem verfolgen sie ihren Weg unverdrossen weiter, denn der Lösungsdruck treibt sie ja von dem Stäubchen fort. Ich möchte wohl wissen, wie viele Milliarden von ihnen jetzt bereits die Wände des Beckens erreicht haben. Es wäre übrigens eine interessante Aufgabe, es zu berechnen. Mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung läßt es sich ohne große Schwierigkeiten machen...” Er zog sein Formelheft aus der Tasche und sah sich suchend nach einem Bleistift um.
    Slawter wehrte ab.
    „Mein Bedarf an mathematischen Ableitungen ist reichlieh gedeckt. Tun Sie mir den Gefallen, bester Doktor, und verschonen Sie mich damit. Können wir über das Schicksal dieser Atome nicht ein wenig philosophieren, ohne dabei die Integralrechnung zu bemühen?”
    Dr. Wandel lächelte und steckte das Heft wieder ein.
    „Wie Sie wollen, Slawter. Wissen Sie, daß letzte philosophische Fragen, welche die Menschheit seit Jahrhunderten bewegten, in der Badewanne hier vor uns ihre physikalische Lösung finden?”
    „Keine Ahnung, Doktor, was Sie meinen.”
    „Ich meine die so stark umstrittene Frage der Prädestination.”
    Slawter rieb sich die Stirn. „Prädestination, Doktor? Vorausbestimmung? Es gibt da in Oswego eine etwas verschrobene Sekte. Die Leutchen behaupten, daß es jedem Menschen schon bei seiner Geburt vorausbestimmt ist, ob er in die Hölle oder in den Himmel kommt. Und wenn er sich auf den Kopf stellt, er kann an seinem vorausbestimmten Schicksal nichts ändern. Meinen Sie das mit Prädestination? Mir scheint es ein ziemlicher Irrsinn zu sein. Der anständigste Lebenswandel ist zwecklos, wenn doch alles vorausbestimmt ist.”
    „Stop, Slawter”, unterbrach ihn Dr. Wandel, „hier bekommt Ihre Logik einen Knick. Halten wir uns an das physikalische Geschehen, dann werden wir klarer sehen. Den Trillionen Atomen unseres Stäubchens, die sich hier im Wasser vor uns tummeln, ist nach dem Gesetz der großen Zahlen als unentrinnbares Schicksal vorausbestimmt, daß die Hälfte von ihnen in vierundzwanzig Stunden zerfallen muß. Das ist die Prädestination in der Physik. Unabwendbar geht der Zerfallstod unter ihnen um und wird die Hälfte von ihnen in vierundzwanzig Stunden

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