Atomgewicht 500
Thermosflasche füllen konnte, ohne sich die Finger zu verbrennen. Das Wasser war noch ebenso heiß wie in der verflossenen Nacht. Sie stellte es mit Genugtuung fest, während sie es in die Flasche schüttete. Schleunigst versenkte sie die gefüllte Flasche wieder in ihre Manteltasche und verließ den Raum.
„Na, haben Sie es glücklich gefunden, Missis?” fragte der Pförtner, als sie, vergnügt mit ihrem Schlüsselbund klappernd, an ihm vorbeiging.
„All right, Sir, ist wieder da”, nickte sie ihm zu und machte sich auf den Weg zu Jeffersons Wohnung. Während sie die Straße entlangging, malte sie sich in Gedanken den Empfang bei ihm aus. Der würde sich wohl nicht schlecht wundern, wenn sie ihm die Flasche mit dem sonderbar heißen Wasser auf den Tisch stellte. Würde sich sicher erst eine Weile den Kopf zerbrechen und nachher über die merkwürdige Geschichte einen feinen Aufsatz für seine Zeitung schreiben... Halt! Das mußte sie ihm aber auf die Seele binden: unter keinen Umständen durfte er ihren Namen dabei nennen. Sonst könnte sie Unannehmlichkeiten haben...
Mehr als die Hälfte des Weges hatte sie so zurückgelegt, als ihr zum Bewußtsein kam, daß sie ihren Schlüsselbund noch immer in der Hand trug. Mit einer kurzen Bewegung ließ sie ihn in ihre Manteltasche gleiten, in der sie die Thermosflasche hatte. Jäh zog sie die Hand zurück. An kochendheißem Dampf hatte sie sich die Finger verbrüht, und als sie jetzt hinsah, bemerkte sie zu ihrem Schrecken, daß aus dem Mantelstoff Dampfwolken nach außen drangen.
Was sollte sie tun? Noch einmal in die Tasche greifen und die Flasche herausnehmen? Sie hatte vom erstenmal genug. Mochte sich Mr. Jefferson daran die Finger verbrennen, der sie zu diesem Abenteuer veranlaßt hatte! Fast laufend legte sie den letzten Rest des Weges zurück und achtete nicht darauf, daß Straßenpassanten stehenblieben und ihr etwas nachriefen. Sie atmete erst wieder auf, als sie ihr Ziel erreicht hatte und zu Jefferson ins Zimmer stürzte.
„Glücklich zurück, Mrs. Boyne?” begrüßte sie Jefferson und hielt dann jäh inne. In dichten Wolken strömte der Dampf jetzt aus dem lockeren Mantelstoff, wie ihn etwa ein Kochkessel aussendet, der über einem starken Feuer steht. Mit einem Sprung war Jefferson neben ihr. „Was ist das? Sie brennen! Sind Sie verletzt?” Überstürzt kamen die Fragen aus seinem Munde, während er ihr den Mantel abriß. Mrs. Boyne strich mit den Händen über ihr Kleid hin und rang nach Fassung.
„Ich glaube nicht, Mr. Jefferson — es ist noch glücklich abgegangen. Die Hand habe ich mir etwas verbrannt, als ich in die Tasche greifen wollte. Aber was ist denn das überhaupt? Wie ist denn so etwas nur möglich?”
Die Frage der guten Mrs. Boyne war nicht unberechtigt, denn immer stärkere Dampfwolken entströmten dem Mantel, den Jefferson jetzt in der Hand hielt.
Wie ist so etwas möglich? — Den Gedanken hatte auch Mr. Jefferson. Aber im Gegensatz zu Mrs. Boyne wußte er auch eine Antwort darauf. Wie dumm von mir, ihr eine Thermosflasche mitzugeben! ging es ihm durch den Kopf, während er den Mantel an einen Haken hängte. Vorsichtig umwickelte er sich seine Rechte mit einem Tuch, zog die Flasche aus dem Mantel und stellte sie auf den Tisch.
Da stand sie nun, wie Mrs. Boyne es sich auf dem Nachhauseweg ausgemalt hatte, und doch wieder ganz anders. Denn das Wasser in ihr war nicht nur heiß, sondern es kochte brodelnd. Summend und sausend entwich der Dampf unter dem Deckel, der glücklicherweise nur locker auf der Flasche saß.
Jefferson nahm ihn ganz ab und holte sich eine leere Karaffe, in die er das Wasser umgoß. Da hörte das Brodein und Brausen schnell auf. Nur ein paar leichte Wölkchen noch, dann stand die Flüssigkeit zwar noch immer sehr heiß, aber doch ruhig in dem Gefäß.
Verwundert beobachtete Mrs. Boyne den Vorgang. „Wie ist so etwas nur möglich?” wiederholte sie ihre Frage.
Jefferson zuckte die Schultern. Er hielt es im Augenblick nicht für zweckmäßig, sie darüber aufzuklären, und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. Ob der Mantel von Mrs. Boyne bei dieser Sache, die sie doch auf seine Veranlassung und für ihn unternommen hatte, nicht zu Schaden gekommen sei, wollte er wissen, untersuchte das Kleidungsstück mit gut gespielter Sorgfalt und ruhte nicht eher, als bis er ihr fünfzig Dollar für die Wiederinstandsetzung aufgedrängt hatte. Da der Kaufpreis dieses Mantels nur dreißig Dollar betragen
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