Atomgewicht 500
vernichten. Doch welche Altome nun wirklich von ihm ereilt werden, das hängt durchaus von dem Verhalten jedes einzelnen Atomindividuums ab. Das atomare Einzelwesen — ich will bei dem von Ihnen gewählten Bild bleiben — hat immer noch die Möglichkeit, sich für den Himmel oder die Hölle zu entscheiden. Klar beantwortet die Physik hier die uralte Frage der Vorausbestimmung, auf welche die Philosophie bisher keine bündige Antwort zu finden vermochte.”
„Uff, Doktor”, stöhnte Slawter, „Ihre physikalische Philosophie — oder meinetwegen auch philosophische Physik scheint mir ebenso zähe zu sein wie Ihre Mathematik... Aber sehen Sie mal da! Unser Thermometer ist ja ganz tüchtig gestiegen. Achtzehn Grad. Das Wasser hat sich tatsächlich recht bedeutend erwärmt.”
„Es wird sich noch weiter erwärmen, Slawter. Seine Temperatur wird bis auf neunzig — nein, bis auf siebenundachtzig Grad steigen...”
Und nun konnte Slawter es doch nicht verhindern, daß der Doktor wieder sein Heft herausholte und eine Seite darin aufschlug, auf der er die Erwärmungsvorgänge in dem Becken bereits vorausberechnet hatte. „Da haben Sie's”, sagte er und wies mit dem Finger auf eine Zahlenreihe. „Nach neun Minuten eine Erwärmung um zehn Grad. Stimmt auf die Sekunde genau. Hier sehen Sie, wie es weitergeht. Ziemlich genau um Mitternacht wird mit siebenundachtzig Komma fünf Grad die Höchsttemperatur erreicht sein. Für eine Woche herrscht danach Gleichgewicht. Die Atome unseres Stäubchens liefern während dieser Zeit ebensoviel Wärme in das Wasser, wie durch die Wände der Wanne nach außen wegstrahlt. Dann wird die Wassertemperatur langsam absinken, aber es geht sehr allmählich damit voran.”
Slawter rückte näher heran und schaute über die Schulter Dr. Wandels in die Zahlenreihe.
„Stimmt das wirklich?” fragte er. „Nach Ihrer Aufstellung muß das Wasser nach einem halben Jahr noch um mehrere Grad wärmer sein als seine Umgebung?”
„Selbstverständlich, mein Lieber! Mit empfindlichen Instrumenten würden Sie sogar noch nach zehn Jahren eine geringe Überwärme nachweisen können. So ganz normal, so wie es früher gewesen ist, wird das Wasser hier überhaupt nicht wieder werden.”
Slawter hatte einen plötzlichen Einfall. „Wie wäre es, Doktor”, meinte er und mußte selber darüber lachen, „wenn wir Ihrem Freund Melton eine Flasche von dem Zauberwasser nach Detroit schickten? Vielleicht würde es seinen Geist etwas befruchten!”
Der Doktor schüttelte den Kopf. Die Erinnerung an Melton war ihm sichtlich unangenehm.
Lieber nicht, Slawter! Je weniger die United von unsern Arbeiten hört und sieht, um so besser wird es sein. Das Wasser hier mag vorläufig noch in der Wanne stehenbleiben. Ich möchte am Montag noch Temperaturmessungen machen, dann aber wollen wir es durch die Abwässerleitung fortlaufen lassen.”
„Eigentlich schade darum”, warf Slawter bedauernd ein.
„Glauben Sie mir, es ist besser so”, sagte der Doktor und stand auf. „Kommen Sie mit, Slawter, für heute haben wir bei der Company unser Geld redlich verdient, wir wollen zum Essen gehen.”
Im Detroit-Werk der United stand das Barometer auf schlecht Wetter, und es hatte sehr den Anschein, daß es demnächst noch weiter auf Sturm fallen könnte. Seit zehn Tagen war die neue Autoklavanlage fertig. Tag für Tag sah Direktor Clayton mit steigender Erwartung den Berichten Professor Meltons entgegen, und jeden Abend mußte er das gleiche nichtssagende Ergebnis hören: es haben sich noch keine strahlenden Substanzen gebildet... Mit wachsendem Verdruß nahm Clayton davon Kenntnis, und Präsident Chelmesford begann Zeichen von Ungeduld zu zeigen.
Auch noch ein dritter verfolgte den Gang der Ereignisse mit Unbehagen: das war Tom White. Während der Vormittagsstunden war er genötigt, Professor Melton und Wilkin bei den Versuchen zu helfen, von deren Aussichtslosigkeit er von vornherein überzeugt war. Am Nachmittag saß er in seinem Zimmerchen im Verwaltungsgebäude, denn Melton und Wilkin hatten ihm mit genügender Deutlichkeit zu verstehen gegeben, daß ihnen seine Gegenwart bei der Feststellung der Versuchsergebnisse unerwünscht sei.
In diesen Stunden fand er hinreichend Gelegenheit, sein Geheimtelephon zu gebrauchen. Bisher hatte ihm diese sinnreiche Einrichtung manchen Spaß bereitet. Mit stillem Vergnügen hatte er durch sie vernommen, daß die Werkleitung vorübergehend einen leichten Verdacht auf ihn geworfen
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