Attack Unsichtbarer Feind: Ein neuer Fall für Special Agent Pendergast (German Edition)
ist vor Jahrzehnten abgerissen worden. Es ist nichts mehr übrig …
O mein Gott.
« Sie schlug die Hand vor den Mund.
Pendergast schwieg weiter und wartete.
Corrie schaute ihn an. Jetzt hatte sie begriffen. »Quecksilber. Das ist davon übrig geblieben. Der Boden unter dem Baugebiet ist mit Quecksilber verseucht.«
Pendergast faltete die Hände und setzte sich in seinem Stuhl zurück. »Endlich fangen Sie an, wie ein richtiger Detektiv zu denken. Und ich hoffe, Sie werden lange genug leben, um dieser Detektiv zu werden. Ich habe Angst um Sie: Sie waren schon immer – und sind es immer noch – viel zu unbesonnen. Aber trotz dieser Schwäche müssen selbst Sie erkennen, was hier auf dem Spiel steht – und die ernste Gefahr, in die Sie sich gebracht haben, indem Sie diese höchst unklugen Ermittlungen fortgesetzt haben. Ich hätte Ihnen hiervon nichts enthüllt – nicht die verschollene Holmes-Geschichte, nicht den Zusammenhang mit der Familie Stafford, nicht das giftige Grundwasser –, wäre es nicht angesichts Ihres, ähm, aufbrausenden Temperaments notwendig, Sie davon zu überzeugen, diesen grässlichen Ort zu verlassen, und zwar so schnell, wie ich die nötigen Vorkehrungen treffen kann.«
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M it zusammengekniffenem Mund ließ A.X.L. Pendergast den Blick über Leadville schweifen. Ein Hinweisschild gab die Höhe an, 3093 , 72 Meter, und verkündete, dass es sich um die »höchste städtische Gemeinde der Vereinigten Staaten« handele. Die Stadt war der krasse Gegensatz zu Roaring Fork, auf der anderen Seite der Berge. Die Innenstadt bestand aus einer einzigen Straße, die viktorianische Gebäude in verschiedenen Zuständen der Schäbigkeit und des Verfalls säumten. Am Straßenrand türmten sich Haufen gefrorenen Schnees. Dahinter erstreckten sich in fast alle Richtungen Tannen bis hinauf zu den mächtigen Berggipfeln. Die übertriebenen Weihnachtsdekorationen, die jedes Gesims, jeden Laternenpfahl, jede Straßenlampe und jedes Vordach drapierten, verliehen der Tristesse der Stadt eine Art verzweifeltes Flair, vor allem jetzt, zwei Tage vor Weihnachten. Dennoch war sich Pendergast trotz der morgendlichen Stunde und der bitteren Kälte einer gewissen Erleichterung bewusst – einfach deshalb, weil er weg war aus dem bedrückenden Reichtum, dem Anspruchsdenken und der Selbstgerechtigkeit, die wie ein Pesthauch über Roaring Fork lagen. Leadville, zwar verarmt, war ein echter Ort mit echten Menschen – auch wenn es ihm unbegreiflich war, warum jemand in diesem weißen Gehenna, dieser sibirischen Einöde, dieser im Gebirge verborgenen Frostwüste fernab der Freuden der Zivilisation leben wollte.
Er hatte ihm ungeheuer viel Mühe bereitet, irgendwelche Nachfahren des uralten Swinton, Vorname unbekannt, der Oscar Wilde nach dessen Lesung in Roaring Fork in ein Gespräch verwickelt und ihm die unglückselige Geschichte erzählt hatte, aufzuspüren. Mit Hilfe von Mime hatte er schließlich einen lebenden Nachkommen ausfindig gemacht: einen gewissen Kyle Swinton, geboren in Leadville vor einunddreißig Jahren. Er war das einzige Kind, dessen Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen, ungefähr zur selben Zeit, als er die Leadville High ohne Abschluss verließ. Danach war seine digitale Spur verschwunden. Selbst Mime, das schattenhafte und einsiedlerische Computergenie, hatte den Mann nicht aufspüren können – bis auf die entscheidende Tatsache, dass er in keinem Sterberegister verzeichnet war. Kyle Swinton, schien es, war noch am Leben, irgendwo auf dem Staatsgebiet der USA ; mehr wusste Pendergast nicht.
Sobald der Schneefall in Roaring Fork aufgehört – besser gesagt: innegehalten hatte, weil die Hauptfront des Schneesturms noch bevorstand –, war die Straße geräumt worden und Pendergast war nach Leadville gefahren, um herauszufinden, ob er eine Spur des Mannes finden konnte. Von einem dicken Pullover, einem schweren schwarzen Anzug, Daunenweste, Mantel, zwei Schals, dicken Handschuhen und Stiefeln sowie einer Strickmütze unter dem Fedora schier niedergedrückt, stieg er aus dem Auto und begab sich in den – wie es schien – einzigen Drugstore der Stadt. Er blickte sich in dem Laden um und entschied sich für den ältesten Angestellten: den Apotheker, der hinter dem Tresen für verschreibungspflichtige Medikamente stand.
Pendergast wickelte die Schals ab, damit er den Mund freibekam, und sagte: »Ich versuche, den Aufenthaltsort eines Mannes namens Kyle Swinton herauszufinden,
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