Attack Unsichtbarer Feind: Ein neuer Fall für Special Agent Pendergast (German Edition)
Aussehen erschreckte sie: Er wirkte noch blasser, schlanker, asketischer als sonst – irgendwie schien das Wort
geläutert
zuzutreffen.
»Corrie, ich bin froh, Sie zu sehen.« Er nahm ihre Hand in seine, die kalt wie Marmor war, dann rückte er ihr den Stuhl vom Tisch ab. Sie nahm Platz.
In Gedanken hatte sie durchgespielt, was sie sagen würde, aber jetzt sprudelte alles aus ihr heraus, hastig und etwas konfus. »Ich fasse es nicht, dass ich frei bin – wie kann ich Ihnen je dafür danken? Ich meine, ich saß echt in der Tinte, Sie wissen schon, dass man mich bereits gezwungen hatte, zehn Jahre zu akzeptieren. Ich habe echt gedacht, mein Leben ist vorbei. Danke,
danke
für alles, dafür, dass Sie mich gerettet, mich vor meiner unfassbaren, unglaublichen
Dummheit
geschützt haben. Und es tut mir so leid, wirklich,
wirklich
leid!«
Pendergasts erhobene Hand stoppte ihren Wortschwall. »Möchten Sie etwas trinken? Einen Wein vielleicht?«
»Hm, ich bin erst zwanzig.«
»Ah. Natürlich. Dann bestelle ich eine Flasche für mich.« Er griff nach der in Leder gebundenen Weinkarte, die so schwer war, dass man sie als Mordwaffe hätte verwenden können.
»Das hier ist tausendmal besser als das Gefängnis«, sagte Corrie und blickte sich um, nahm die Atmosphäre in sich auf, den Geruch der Speisen. Kaum zu glauben, aber noch wenige Stunden zuvor hatte sie hinter Gittern gesessen, und ihr Leben war total im Eimer gewesen. Aber wieder einmal war Pendergast ihr zu Hilfe geeilt wie ein Schutzengel und hatte alles verändert.
»Die haben länger gebraucht, den Papierkram zu erledigen, als ich gehofft habe«, sagte Pendergast und überflog die Weinliste. »Zum Glück hat das Restaurant im Sebastian noch spät abends geöffnet. Ich denke, der Château Pichon-Longueville 2000 genügt vollauf – finden Sie nicht auch?«
»Ich habe null Ahnung von Wein, tut mir leid.«
»Sie sollten etwas darüber lernen. Er zählt zu den uralten, wahren Freuden, die das menschliche Dasein erträglich machen.«
»Hm, ich weiß, es ist sicher nicht der richtige Zeitpunkt … Aber ich muss Sie das fragen.« Corrie errötete. »Warum haben Sie mich auf diese Weise gerettet? Und wieso geben Sie sich so viel Mühe mit mir? Ich meine, Sie haben mich aus Medicine Creek rausgeholt, Sie haben mir das Internat bezahlt, das Studium am John Jay … weshalb? Ich bin eine Versagerin.«
Er schaute sie mit unerforschlichem Blick an. »Der Colorado-Lammrücken für zwei würde gut zum Wein passen. Er soll ganz hervorragend sein.«
Sie blickte auf die Speisekarte. Sie war, wie sie zugeben musste, kurz vorm Verhungern. »Klingt gut.«
Pendergast winkte den Kellner herbei und bestellte.
»Aber egal. Um auf das zurückzukommen, was ich gerade sagte … Ich würde wirklich gern erfahren, ein für alle Mal, warum Sie mir in all den Jahren geholfen haben. Vor allem, wenn ich Sie immer wieder, Sie wissen schon, vor den Kopf gestoßen habe.«
Wieder musterte er sie mit diesem undurchdringlichen Blick. »Vor den Kopf gestoßen? Wie ich sehe, hat Ihr Faible für reizende Euphemismen nicht gelitten.«
»Sie wissen schon, was ich meine.«
Pendergasts Blick schien ewig auf ihr zu ruhen. Schließlich sagte er: »Eines Tages wird aus Ihnen vielleicht eine gute Polizeibeamtin oder Kriminologin. Darum. Es gibt keinen anderen Grund.«
Wieder merkte sie, dass sie rot wurde. Sie war sich nicht ganz sicher, ob ihr die Antwort gefiel. Jetzt wünschte sie, sie hätte die Frage nicht gestellt.
Noch einmal nahm Pendergast die Weinkarte zur Hand. »Erstaunlich, wie viele Flaschen ausgezeichneten französischen Weins aus seltenen Jahrgängen ihren Weg in diese Kleinstadt mitten in den Bergen gefunden haben. Ich hoffe doch, dass sie bald getrunken werden. Die Höhe hier bekommt Bordeaux-Weinen gar nicht gut.« Er legte die Weinkarte auf den Tisch. »Und jetzt, Corrie, erzählen Sie mir bitte im Einzelnen, was Ihnen an den Gebeinen von Mr. Emmett Bowdree aufgefallen ist.«
Sie schluckte. Pendergast war so verdammt … »Ich hatte nur wenige Minuten Zeit für die Untersuchung. Aber ich bin mir sicher, dass der Typ nicht von einem Grizzly getötet wurde.«
»Ihre Beweise?«
»Ich hab ein paar Fotos gemacht, aber die Polizei hat den Speicherchip konfisziert. Ich kann Ihnen sagen, was ich gesehen habe – oder wenigstens, was ich
glaube
gesehen zu haben.«
»Ausgezeichnet.«
»Am wichtigsten: Der Schädel zeigt Spuren, dass er mit einem Stein eingeschlagen wurde. Und
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