Attentage
das?“ Sie hat die langen und tiefen Spuren ihrer Fingernägel auf Purronts Rücken entdeckt und klingt besorgt. Erst jetzt spürt Purront einen leichten Schmerz und versucht über sein linkes Schulterblatt auf den Rücken zu spähen.
„Das macht doch nichts“, sagt er nach dem vergeblichen Versuch. Sie schmiegt sich eng an ihn und er fühlt dieses intensive Gefühl der seelischen und körperlichen Vertrautheit aufsteigen, das er so lange vermisst hat. „Aber etwas belastet dich!“, sagt Nicole unvermittelt. „Willst du es mir nicht erzählen? Freust du dich vielleicht doch nicht mehr auf unser Kind?“
Abrupt scheint die friedliche Intimität zwischen ihnen gefährdet. Die Frage schiebt sich wie eine unsichtbare Trennwand zwischen die beiden. Purront kämpft kurz mit seinem Pflichtgefühl, verschwiegen zu sein, lässt sich dann aber fallen.
„Ich habe gestern jemanden erschossen“, sagt er und bereut im selben Moment, es erwähnt zu haben – obwohl er spürt, dass es ihm guttut, sich ihr anzuvertrauen.
„Du warst in so großer Gefahr?“, fragt Nicole entsetzt.
Purront weiß, dass es besser wäre, zumindest jetzt zu schweigen. „Ich war direkt beim Attentat in London vor Ort.“
Nicole überlegt angestrengt. Purront merkt das daran, dass sie das linke Auge zusammenkneift. Natürlich hat sie in den Nachrichten von dem erschossenen Terroristen im Wachsfigurenkabinett gehört.
„Ihr habt schon im Vorfeld von dem Anschlag gewusst!“
„Wir hatten einen Verdacht“, sagt Purront ausweichend.
„Du bist gleich nach dem Anschlag in Wien nach London zum Ort des Attentats geflogen und hast den Mann erschossen!“ Es klingt nüchtern und unwiderlegbar logisch. Eigentlich wollte Purront nur darüber reden, wie er sich bei dem Gedanken an seinen abgegebenen tödlichen Schuss fühlt. Auch wenn es noch nicht geklärt ist, ob Heather oder er zuerst getroffen hat, ist aus den Verletzungen ersichtlich, dass jeder der beiden abgefeuerten Schüsse tödlich gewesen wäre. Die Spezialgeschosse hatten zwei hässliche Löcher in Stirn und Schädeldecke des Mannes hinterlassen. Purront hat schon viele entstellte Leichen gesehen, aber er hat nicht gewusst, welch einen Unterschied es macht, wenn man selbst der Verursacher ist. Es war eindeutig zu viel, von Nicole zu erwarten, sich in solch eine Situation hineinversetzen zu können.
„Wie konntet ihr im Voraus von dem Attentat wissen?“, bohrt Nicole weiter.
Als Purront schweigt, beantwortet sie die Frage selbst: „Ihr habt einen Informanten!“
Als sie sein finsteres Gesicht sieht, fährt sie ihm liebevoll und etwas kokett durchs Haar. „Du musstest ihn töten, sonst hätte er andere umgebracht. Du hast viele Leben gerettet, mein Held!“
Als Purronts Miene sich nicht erhellt, fährt sie fort: „Wenn du es nicht getan hättest, dann hätte es jemand anderer getan. In Wien und Amsterdam mussten die Wachleute doch auch den Attentäter erschießen!“ Nicole kennt bis jetzt nur die Berichte aus den Tageszeitungen und Fernsehnachrichten.
„In Amsterdam konnten sie ihn beinahe unverletzt überwältigen“, sagt Purront.
„Er ist gar nicht tot!?“, ruft Nicole. „Warum …?“
„Pssst! Komm her“, sagt Purront und versucht, sie wieder an sich zu ziehen. „Einige kleine Geheimnisse dürfen wir große Jungs aber schon noch für uns behalten.“
Nicole gluckst, während sie sich halbherzig ziert. „Große, starke Jungs denken immer, sie haben mehr Geheimnisse als kleine, schwache Mädchen. Aber da irren sie sich.“
Purront deutet das Glitzern in ihren Augen richtig: „Ich unterschätze dich nicht, mein … Kleines!“
„Gut für dich, Großer!“, sagt sie und hechtet sich völlig überraschend auf ihn. Er wehrt sich nur zum Schein etwas, während sie auf seinem Oberkörper sitzend seine beiden Hände links und rechts auf das Bett drückt, sich dabei vorlehnt und ihm so ihre kleinen, festen Brüste die Sicht auf alles andere verdecken.
SAMSTAG, 7. APRIL, 19.40 UHR | ZAANSTAAS, GEFÄNGNISZELLE
Ahmed starrt immer wieder auf die vielen Zeitungen, die am Vortag von einem seiner Wärter wortlos in die Zelle geworfen worden sind. Sein ungebetener Besucher hat also tatsächlich von den Attentaten im Voraus gewusst. Ahmed kann es noch immer nicht fassen, dass es unter seinen Brüdern im Jemen einen Verräter gibt. Jeder Mujahid wird nun bis zu dessen Entlarvung bei seinem Auftrag sinnlos getötet werden. Diese Erkenntnis macht ihn fast wahnsinnig und nur das
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