Attentage
werden Fayez und Umar dazugeholt. Die beiden Begleiter des Sheiks positionieren sich außerhalb Hörweite mit entsicherter Kalaschnikow. Selbst der obligatorische Cay darf von niemandem gebracht, sondern muss einen Steinwurf entfernt abgestellt werden. Nach einiger Zeit kommt Fayez aus dem Zelt und trägt die verrußte Tonkaraffe und die Tassen hinein.
Die Szenerie wirkt auf alle im Lager beunruhigend. Es ist offensichtlich, dass die leitenden Brüder etwas von großer Dringlichkeit zu besprechen haben. Bis jetzt ist der Sheik nur sehr selten ins Camp gekommen. Nur jene Lagerbewohner, die schon über ein halbes Jahr hier sind, können sich an einen seiner Besuche erinnern.
Da im Camp keine Zeitungen vorhanden sind und auch kein Radio empfangen werden kann, wird überlegt, ob im Land vielleicht wieder ein neuer Bürgerkrieg tobt. Sheik Ali al-Houthi unterstützt die Islah-Partei, die schon vor dessen Sturz den Präsidenten offen als westliche Marionette kritisiert hat, mit großzügigen Spenden. Nachdem der Präsident die Macht abgeben musste, wollen die Stammesfürsten das Land endlich wieder nach Allahs Gesetz, der Sharia, führen. Und nach den Lehren von Zaid Ibn Ali, dem Urenkel des Schwiegersohns des Propheten, leben.
Der Sheik, gekleidet in die Dschalabiya, das knöchellange weiße Männerhemd, sitzt mit den drei Brüdern auf dem vergilbten Perserteppich im Kreis. Die Djambiya, den jemenitischen verzierten Krummdolch mit einem Griff aus Rhinozeroshorn, die in einen breiten Brokatgürtel gesteckt vor dem Bauch getragen wird, hat er neben sich abgelegt. Er spricht mit gedämpfter Stimme, aber hörbarer Erregung.
„Said, wer wusste sonst noch, wo die Attentate stattfinden?“
„Niemand“, erwidert der Angesprochene, „ich sagte dir doch schon mehrmals – niemand außer uns! Die einzige Möglichkeit wäre, dass ein Mujahid es den anderen vor der Abreise selbst verraten hat.“
„Aber auch wenn das einmal geschehen ist, so kann es nicht jedes Mal geschehen sein“, sagt der Sheik, „und wie sollten sie das Lager verlassen und uns verraten können?“
„Wenn du es niemandem mitgeteilt hast, dann wissen nur wir vier es und dann müsste einer von uns der Verräter sein“, sagt Fayez mit fester Stimme.
Der Sheik sieht seinen Neffen traurig an. „Außer mir wissen von den Attentaten noch unser verehrter Imam Qaid al-Harithi und Anwar al-Garadi, der zweite Mann der al-Qaida. Das ist genauso unmöglich, dass sie Verräter sind wie ihr.“
Umar nickt. „Vielleicht hat uns jemand belauscht, wenn wir den Auftrag erteilt haben?“
Said al-Mutallab schüttelt den Kopf. „Wir waren sehr vorsichtig. Und es hat ja auch niemand außer uns vier das Camp verlassen, solange er keinen Auftrag hatte. Es wurde auch jeder Brief gelesen. Es gibt also keinen unkontrollierten Kontakt nach außen.“
Das Gesicht des Sheiks erhellt sich. „Das ist die Lösung. Auch von euch verlässt niemand mehr das Lager. Wenn auch das nächste Attentat verraten wird, dann wissen wir, dass die undichte Quelle nicht hier zu finden ist.“
„Ich hatte noch geplant, morgen meine Mutter in Sanaa zu besuchen.“ Fayez versucht, nicht respektlos zu klingen.
„Es gibt noch keinen neuen Plan, der verraten werden könnte“, sagt der Sheik, „das wird erst in den nächsten Tagen beschlossen. Du kannst morgen noch fahren, aber danach gibt es keine Ausnahme mehr.“ Als er den betretenen Blick seines Neffen sieht, sagt er beschwichtigend: „Du bist für deinen Glauben lange im Gefängnis gesessen und über jeden Verdacht erhaben. Es ist nur zu deiner eigenen Sicherheit, dass dich niemand beschuldigen kann.“
„Danke“, sagt Fayez und lässt offen, ob er damit den doch noch möglichen schon lange geplanten Besuch bei seiner Mutter oder die milden Worte seines Onkels meint.
Umar meldet sich zu Wort. „Wenn Fayez nicht verdächtig ist, kommen wohl auch unser Führer Said und du nicht als Verräter in Frage. Dann bleibe nur mehr ich!“ Seine Stimme zittert leicht.
Der Sheik seufzt. „Was solltest du für einen Grund zum Verrat haben? Hier ist deine Familie, dein Leben! Wenn die Attentate nicht alle gescheitert wären, würde ich unserem Informanten nicht glauben, dass es einen Verräter gibt. Vielleicht ist alles auch nur ein Irrtum, ein böser Zufall. Er behauptet auch, dass Ahmed nicht getötet wurde, sondern gefangen genommen. Das kommt mir auch sehr seltsam vor.“
Fayez schreckt auf. „Wenn das stimmt, ist es nur eine Frage der
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