Attentage
Gefangenschaft trägt, seine nassen Augen und Wangen.
„Du kannst die Fotos gerne behalten, Ahmed“, sagt Bruno. „Und wir werden ihnen natürlich nichts antun.“ Nach einer Kunstpause fährt er fort: „Wenn du uns sagst, wo das Lager ist und wie seine Leiter heißen.“
Ahmed sieht ihn wortlos an. Wenn er nicht angekettet wäre, würde er diesen Bastard anspringen und ihm das Genick umdrehen.
„Wir erfahren von unserem Mann leider nicht, wo es sich befindet. Vielleicht hat er Angst, selbst bei einem Angriff von uns dort zu sterben“, erklärt Bruno.
Ahmed spuckt Bruno plötzlich an. Der Speichel trifft ihn an der Schulter und läuft langsam am Sakkoärmel hinunter, während Bruno bewegungslos verharrt.
„Aber er hat uns verraten, wo deine Familie ist“, lügt Bruno. Tatsächlich hat die Familie einer ihrer Agenten im Jemen gefunden, der wie viele andere mit einem Foto des „toten Attentäters“ auf die Suche geschickt worden war. In einem kleinen Restaurant war Ahmed als ehemaliger Mitarbeiter erkannt worden. „Ahmed“, Bruno betont den Namen, den er nun das erste Mal ausspricht, „wenn du nicht mit uns kooperierst, muss ich bei meinem nächsten Besuch Fotos deiner Familie mitbringen, die dich nicht erfreuen werden.“
Ahmed ist wie gelähmt. Er setzt zum Sprechen an, aber entschließt sich dann, zu schweigen. Er hat noch nie gehört, dass der Familie eines Mujahids von den Feinden des Islam als Rache etwas angetan wurde. Es erscheint ihm undenkbar. Aber es war ihm auch unmöglich erschienen, dass sie einen Mujahid für tot erklären und ihn im Gefängnis vermodern lassen.
Bruno beobachtet Ahmed scharf. Er registriert das Flackern der Wimpern, die verkniffene Stirn, das verräterische Reiben des Daumens am Mittelfinger. Er weiß, dass er seinem Ziel ganz nahe ist.
„Bin Laden hat den Amerikanern nach 9/11 eine Nachricht mit der Sure 22/39 geschickt.,Die Erlaubnis, sich zu verteidigen, ist jenen gegeben, die bekämpft werden, weil ihnen Unrecht geschah – und Gott hat wahrlich die Macht, ihnen zu helfen.‘“
Ahmed begreift die neue Strategie. Sie bekämpfen ihre Feinde nun mit deren eigenen Waffen. Er weiß, dass er handeln muss, denn sie meinen es sehr ernst.
„Ich weiß nicht genau, wo das Lager ist“, sagt er leise und widerwillig. „Mir wurden wie allen anderen auch auf der letzten Strecke in der Region Marib die Augen verbunden. Wahrscheinlich waren wir nach den Bergen von al-Jawf in einem Wüstental.“ Dann beginnt er schnell weiterzureden, beinahe tonlos, so als ob er eine lästige Pflicht erfüllt. „Die wichtigsten Leiter im Lager sind Sheik Ali al-Houthi, sein Neffe Fayez, Said al-Mutallab und Umar.“
Bruno macht sich nicht die Mühe, etwas aufzuschreiben. Er wird sich die Kameraaufnahmen besorgen. Ahmed fühlt sich elend und todmüde. Er zieht seine Knie an und vergräbt den Kopf dazwischen.
Bruno ist klar, dass er heute keine Informationen mehr erwarten kann. Er steht auf und legt den Schlüssel für die Handschellen an das Pritschenende. Ahmed macht keine Anstalten, ihn zu nehmen. Bruno sieht ihn nachdenklich an. „Wir werden das überprüfen, Ahmed“, sagt er. Leise fährt er fort: „Und wenn du die Wahrheit gesagt hast und dann noch sterben willst, werden wir einen Weg finden.“
Ahmed hasst es, dass sein Peiniger ihn bei seinem richtigen Namen nennt. Er hasst ihn dafür, er hasst den Verräter, er hasst alle Feinde des Islam und er hasst sich selbst.
Bruno verlässt die Zelle, dreht sich aber in der Tür nochmals um. „Das mit deinem Vater tut mir sehr leid“, sagt er, „sie hätten ihn nicht erschießen müssen.“
„Mörder! Ihr seid alle Mörder!“ Ahmed schreit es ihm nach.
„Nein“, sagt Bruno ruhig, „ich bin dagegen, Unschuldige zu töten. Ich hätte auch nicht erlaubt, dass deiner Familie etwas angetan wird. Ich bin nicht wie du.“
Erst als Bruno schon die Tür hinter sich geschlossen hat, begreift Ahmed, was das bedeutet. Seine Familie war niemals in Gefahr. Er hat seine Brüder verraten, weil er einer Lüge auf den Leim gegangen ist. Als er vor Wut mit der linken Hand gegen seine Stirn schlagen will, bemerkt er, dass er noch immer an der Pritschenhalterung angekettet ist.
DIENSTAG, 10. APRIL, 16.50 UHR | JEMEN, WÜSTENCAMP
Es herrscht helle Aufregung im Lager. Völlig unangemeldet ist Sheik Ali al-Houthi mit zwei bewaffneten Begleitern im Lager erschienen und wortlos in das Zelt von Said al-Mutallab geeilt. Nach einer Viertelstunde
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