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Attentage

Attentage

Titel: Attentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Bartl
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zurück.
    Als er im Schlafzimmer nach Unterlagen sucht und die leichte Seidendecke des Doppelbetts wegzieht, liegt plötzlich der Geruch ihrer Haut in der Luft, den er in den gemeinsamen Nächten wie ein Aphrodisiakum eingeatmet hat. Er muss ihn, und mit ihm die schmerzhafte Erinnerung, wie ein ihn quälendes Insekt abschütteln.
    In der nächsten halben Stunde findet er drei Fotoalben, einige Mappen mit Dokumenten und Unterlagen, Bankbelege, Krankenakten, Kontoauszüge, alte handgeschriebene Briefe, ihm unbekannte Medikamente im Badezimmerschrank und einen Ordner mit Dokumenten in arabischer Schrift. Er stopft alles in eine karierte Umhängetasche, die er in ihrem Kasten gefunden hat.
    Kurz erstarrt er, als er in der Lade ihres Nachtkästchens ein Foto von ihm in der Hotelbar in Amsterdam entdeckt. Sie muss es in einem unbemerkten Augenblick mit ihrem Handy gemacht haben. Die schlechte Qualität der Vergrößerung als Bild deutet darauf hin. Es rührt ihn, dass sie sein Foto so nahe bei sich haben will, und kurz keimt wider besseresWissen die Hoffnung auf, dass alles nur ein schrecklicher Irrtum ist und ihre Liebe echt und nicht gespielt war.
    Als die Wohnungstür aufgeschlossen wird, reißt ihn das Geräusch aus seinen Gedanken. Leconte öffnet die Terrassentür des Schlafzimmers und läuft in den kleinen Vorgarten hinaus, über den man zu der Gemeinschaftsgrünfläche der Apartments mit einem kleinen Kinderspielplatz kommt. Blitzschnell entscheidet er, nicht über den Rasen zu laufen, sondern schlüpft durch die offene Terrassentür in das Wohnzimmer der Nebenwohnung. Er bleibt hinter dem Vorhang der Glastür stehen. Von dort beobachtet er, wie zwei Männer aus Heathers Wohnung ins Freie laufen. Sie verständigen sich mit einem kurzen Zeichen und einer läuft links und der andere rechts in die Grünanlage.
    Leconte kann aus dem professionellen Verhalten ableiten, dass es sich hier um Kollegen handelt, die wohl suchen, was er bereits gefunden hat. Er hört plötzlich Schritte in Richtung Wohnraum und verlässt die Wohnung. Im Schutz einiger Hecken erreicht er wieder die Straße.
    Erst nach fünf Minuten bleibt er stehen und blickt kurz zurück. Er stellt fest, dass ihm niemand gefolgt ist. Leconte nimmt die schwere Tasche in die andere Hand und geht mit dem energischen Schritt eines Mannes, der ein wichtiges Ziel vor Augen hat, weiter.

DIENSTAG, 24. APRIL, 11.20 UHR | PARIS, RUE DE RICHELIEU
    „Sie haben mich anscheinend nicht verstanden“, sagt der Commissaire ärgerlich, „ich gebe diese Unterlagen nicht aus der Hand. Ich warte hier und Sie übersetzen mündlich und ich mache mir Notizen. Dann gehe ich und Sie vergessen die Sache für immer.“
    Der glatzköpfige Dolmetscher nickt beflissen. Der Ägypter ist klein und rundlich und wirkt wie eine arabische Version einer Buddhafigur, der die nötige meditative Ruhe fehlt. Das ist aber auch schwer, denn Leconte ist ungeduldig, den Inhalt des Akts in arabischer Schrift zu erfahren. Er will keinesfalls bis morgen warten.
    In seinem Londoner Hotel und bei der Zugfahrt durch den Ärmelkanaltunnel nach Paris hat er die Fotoalben betrachtet und die Unterlagen und Dokumente ausführlich studiert. Heather hat am 7. August 1992 Youseff Jonquere geheiratet und sich noch im selben Jahr am 21. Dezember wieder scheiden lassen. Das musste ihr zu schaffen gemacht haben, denn Leconte hat in den Unterlagen ihrer Sozialversicherung entdeckt, dass sie ab Beginn des nächsten Jahres massive gesundheitliche Probleme hatte. 14 Besuche beim Gynäkologen in sechs Monaten und offenbar auch ein kürzerer Krankenhausaufenthalt. Danach war sie über zwei Jahre regelmäßig bei einem Psychiater.
    Die Pillen und Pulverchen aus Heathers Badezimmerschrank sind allerdings harmlos, keines davon istrezeptpflichtig. Leconte findet jedes davon im Internet. Es sind ein pflanzliches Mittel gegen Nebenhöhlenentzündungen, eine Mischung aus Baldriantropfen und einer chinesischen Pflanze zum Einschlafen und ein Basenpulver aus Korallen zum Entsäuern.
    Die Fotos bieten ebenfalls keine Überraschungen. Einige Seiten in den Alben sind leer und da es keine Bilder von Heather mit Youseff gibt, liegt die Vermutung nahe, dass sie diese Erinnerungen nach der Scheidung vernichtet hat. Ansonsten sind es die üblichen Kinder-, Jugend-, Urlaubs- und Familienfotos, von denen man den Eindruck hat, sie alle schon irgendwann einmal gesehen zu haben. Austauschbare Schnappschüsse einer vorgeblich heilen Welt, in der

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