Attila - Die Welt in Flammen
gegeben. Und was bin denn ich? Der Herr der Herrlichkeit aus Palästina, ein König des Schreckens aus dem Osten. Meine Träume geben keine Ruhe mehr, Nacht für Nacht bestürmen sie mich, jene Seher und Wahrsager am verfluchten Strom unterhalb der Bäume am nebligen Morgen meiner Kindheit, vor langer Zeit, als ich niemanden als meinen geliebten Orestes um mich hatte, der mir beistand. Wir legten seine Schwester zu Grabe …»
Kleiner Vogel ging zu ihm hinüber.
Attila sah es nicht. Seine Augen wanderten umher. «Es gibt keinen Beistand, keinen Trost, um Mitternacht murmelt mein Herz mir zu, dass nicht einmal die Götter mir helfen können. Den Osten habt ihr mir genommen, den Westen habt ihr mir genommen, meinen Hass habt ihr mir genommen und meine Liebe; traurig ist nun mein Lied, schwer mein Kopf, und mein Herz singt ein Lied von Asche. Ihr, die ihr mir alles genommen habt – ihr seid nur ein formloses Nichts ohne Stimme, ohne Sinn oder Gefühl, Beginn und Ende aller Dinge, für alle Zeiten.
Ihre Prophezeiungen umsummen mich wie ärgerliche Fliegen. Zwei Reiche stehen nun in Flammen … Italien war eins der Reiche, das andre Reich sein eigen … Bin ich das …? Ein Gedanke, den ich kaum aushalte, oh hilf mir, ihn zu ertragen, kleiner Schamane, so wie du einem alten Mann helfen würdest, der unter einer Last strauchelt. Narr des Glücks, Irrer der Geschichte.»
Er beugte sich vor und legte die Hände auf Kleiner Vogels knochige Schultern.
Kleiner Vogel wand sich, als wäre die Berührung eiskalt wie der skythische Winter. «Ihr könntet ebenso gut eine Maus bitten, einen Felsblock zu schultern, Herr!»
Attila ließ die Arme rasch sinken und setzte sich wieder.
«In meinem ehrwürdigen hohen Alter, so dachte ich, verdiente ich Ehrerbietung, Demut, Ruhm, ein Reich, und nun hat man mir alles genommen, mein Reich taumelt dahin und flackert müde wie die Talgkerze eines Armen. Ich weiß jetzt, von welchem Reich die Rede war: vom großen, unendlichen Reich des Nichts.»
«Sagt das nicht, Herr!»
«Meine Söhne streiten miteinander und werden schon bald Krieg gegeneinander führen, sobald ihr Vater gestorben und nichts von ihm übrig ist als verwitternde Fußstapfen und Knochen. Meine Checa ist den Weg allen Fleisches gegangen, nur Staubwolken in der Sonne, das Gerippe lang verendeten Viehs, ganz verblichen, kein Vogelgesang, kein süßes Wasser, ein leerer, öder Ort, ein verfallenes Dorf an einem sterbenden See.
Ich bin ein gebrochener Mann, so wie Eis die Erde spaltet. Für mich gibt es keine Hilfe: Ein König muss alleine sterben. Mein Herz ist schwer vor Kummer, der einsame Kummer auf Bergeshöhen, den nur der sterbende König kennt. Der Wahnsinn des Königs Goll. Ich hörte, wie der keltische Sklavenjunge sang, vor langer Zeit, er kannte die alten Prophezeiungen der Sibylle. Der graue Wolf hat mich erkannt, der Hase läuft an mir vorbei, er wird ganz kühn. ‹Sie kennen keine Eile, die Blätter rascheln um mich her, von Buchen alt und grau.› König Goll, alter Freund, ich kenne dich und sehe dein Gesicht im Wasser. Bin ich es, der sie auf diesen Pass, zu diesem vorbestimmten Ende geführt hat?»
Er zitterte und zagte, seine Augen rollten wild, seine Hände umklammerten die Ornamente des fremden Throns. «Oh, ich verliere den Verstand! Lasst mich nicht den Verstand verlieren!»
«Oh Vater», sagte Kleiner Vogel und legte den Kopf in den Schoß seines Herrn, «mein Herz wird deinem Herzen Gesellschaft leisten, wenn beide brechen.»
12. DER GOTT, DER ZÜRNTE
E ndlich kam die Kunde, dass Attila nach Rom marschierte.
Aëtius ritt die Via Flaminia von Ravenna herüber, um ihm den Weg abzuschneiden, mit einer Streitmacht von nur wenigen tausend Mann. Eine lächerliche Zahl. Er hatte gehofft, die Bürger Ravennas, Fiorentias und auch Roms würden sich ihnen anschließen, um diese letzte erbärmliche Schlacht in der römischen Geschichte zu kämpfen, wenig mehr als ein Scharmützel. Doch die Bevölkerung war bereits geflohen.
Als Aëtius und seine Kolonne sich der halb verlassenen Stadt auf den sieben Hügeln näherte, bot sich ihnen zunächst ein erstaunlicher Anblick: ein Zug mit dem römischen Bischof Leo an der Spitze, der unbewaffnet nach Norden zog, um Attila entgegenzutreten. Priester in ihren Messgewändern trugen Kreuze, Banner und Weihrauchgefäße und sangen Hymnen; das Gold der Monstranzen und Dalmatiken glänzte im italienischen Sonnenlicht; Bischof Leo selbst, dicklich, mit rundem
Weitere Kostenlose Bücher