Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)
kommen gar nicht. Da halte ich den Mund und wir verfallen in Schweigen. Im Kopf höre ich eine parallele Reihe von Fragen.
Wo bist du gewesen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe?
Warum hast du mich nicht angerufen?
Warum hast du mir keine SMS geschickt?
Hast du dich mit anderen getroffen?
Was hast du mit denen gemacht? Dasselbe, was du mit mir gemacht hast?
Die ganze Zeit schwirren mir diese Fragen wie Moskitos im Kopf herum, wimmernd und beharrlich, aber ich stelle sie nicht. Da ist jemand anderes. Ich weiß es. Ich kann es spüren. Aber ich frage sie nicht. Ich frage sie deshalb nicht, weil sie mir doch nicht antworten würde. Ich habe sie kennengelernt. Nicht sehr, aber doch etwas. Sie geht streng nach dem Prinzip vor: Informationen nur bei Bedarf. Sie lügt, und es ist ihr ganz egal, ob du das weißt. Sie klatscht nicht und schwätzt nicht rum. Im Allgemeinen sagt sie überhaupt nicht viel, und daher zählt das, wassie sagt. Aber das, was sie nicht sagt, zählt auch, vielleicht sogar noch mehr.
Ich lehne mich zurück. Der Verkehr kriecht durch die Stadt. Die Baustellenampel auf der Brücke verlangsamt alles. Ich frage mich, wohin wir fahren. Wahrscheinlich würde sie es mir nicht sagen, auch wenn sie es wüsste. Ihr ist nicht nach reden, und so lasse ich, während wir warten, meine Gedanken in die Zeit schweifen, die sie abzulehnen scheint. Die Zeit, in der sie und Martha befreundet waren und sie zu Marthas Geburtstag eingeladen war.
Es muss Marthas fünfzehnter Geburtstag gewesen sein. Es hatte einen großen Krach gegeben, weil Mum der Meinung war, sie wäre zu jung, um mit ihren Freunden wegzugehen, und ein Kinobesuch und eine Pizza müssten genügen. Ich war nicht eingeladen, aber das machte mir nichts aus. Rob war auf Urlaub zu Hause, und wir sahen in seinem Zimmer Fußball. Dann kamen sie zu einer Pyjama-Party zurück – Grund genug für uns die Biege zu machen.
Als ich am Morgen runterkam, war Mum im Gespräch mit einer der abholenden Mütter.
»Ist einfach gegangen. Mitten in der Nacht. Ich war in Sorge. Man hört ja so schreckliche Geschichten.«
»Geht es ihr gut?«
»Es sieht so aus. Ich hab ihre Mutter angerufen. Sie musste nach Hause.« Sie senkte die Stimme zu einem Murmeln. Alles, was ich mitbekam war:
ein kleines Missgeschick
und
verlegen
. Sie steckten die Köpfe zusammen und sprachen ganz leise:
Mädchen in diesem Alter, wirklich schwierig
.
Die andere Mutter nickte, als wüsste sie Bescheid. Ich nicht,und so schob ich mich etwas näher. Mum bemerkte mich, und das ließ das Gespräch endgültig versiegen. Mir wurde gesagt, ich sollte mich hier nicht rumtreiben und mich um mein Frühstück kümmern. Mum sprach scharf und machte ein böses Gesicht, als hätte ich etwas falsch gemacht. Ich überlegte mir, was für ein Missgeschick das sein mochte, als der Groschen fiel. Das war eine dieser geheimnisvollen weiblichen Angelegenheiten, von denen Jungs nichts wissen sollten. Deshalb flüsterten sie und schauten mich finster an.
Bei dem Gedanken daran wurde ich rot bis über die Ohren und kümmerte mich intensiv um die Packung mit den Frühstücksflocken. Ich wusste nicht viel über die Periode, doch was ich wusste, machte mich froh ein Junge zu sein.
Sie ist also zu einer Pyjama-Party gekommen und nicht geblieben. Ist das der Grund für die Feindschaft zwischen ihr und Martha? Könnte schon sein. Martha ist manchmal sehr empfindlich.
Aber da muss mehr dran sein. Das ist es immer. Wenn es einen Streit gab, haben sie jedenfalls nichts davon gesagt. Die Mädchen um den Tisch waren so schlapp wie Gespenster an der Sonne, überhaupt nicht in der Lage, irgendwas zu bemerken, doch dass Caro weggegangen war, war neu für sie. Eine von ihnen fragte: »Ist sie denn nicht hier?«, als ob sie unter ein Möbelstück gekrochen wäre oder die Nacht in der Kammer unter der Treppe verbracht hätte.
Mädchen gehen immer wegen irgendetwas auseinander, das Muster ihrer Freundschaft ändert sich, Bündnisse wechseln. Freundinnen gehen verloren, andere kommen hinzu, normalerweise nicht für immer. Das Kaleidoskop dreht sich, und ehe manes sich versieht, sind sie wieder zusammen. Doch nach dieser Nacht ist Caro vollständig aus Marthas Leben verschwunden. Irgendwas ist in dieser Nacht passiert. Etwas, über das Caro nicht reden will.
Ich erwarte, dass sie raus aufs Land fahren will. Wir steuern in diese Richtung. Nachdem sie endlich die Brücke überquert hat, wählt sie eine der Schnellstraßen, die
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