Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
Vom Netzwerk:
außer Atem: »Frau Merkel, der Mehdorn … der Papst … Herr Glos … Herr Steinbrück, der Uri Geller des Finanzwesens …« Die beiden freundlichen grauwollenen Hunde der Familie Hildebrandt haben sich vor dem Wohnzimmersofa ausgestreckt; die Hildebrandts schauen konzentriert auf ihren Panasonic-Flachbildschirm, sie schauen weder missmutig noch gehässig – wenn jetzt endlich mal ein guter Witz käme, die beiden wären durchaus bereit, darüber zu lachen. Richling hat ein Autolenkrad in der Hand und redet über die Abwrackprämie; »Ingolf, kommst du mal?« – und es tritt auf: Ingolf Lück, also einer jener »Comedians«, deren Kabarett-Kompatibilität Gegenstand des in den vergangenen Tagen über Zeitungsinterviews ausgetragenen Streits zwischen Richling und Dieter Hildebrandt war.
    Schon Ende 2003 hatte Hildebrandt sich aus dem »Scheibenwischer«-Ensemble verabschiedet, doch als er hörte, dass Richling künftig sogenannte Comedians in die Sendung einladen will, untersagte er die weitere Verwendung des von ihm einst in anderer Absicht erfundenen Titels. Das erregte den Zorn Richlings, und er beschimpfte Hildebrandt in allerlei Interviews, worauf Hildebrandt in ebenfalls nicht wenigen Interviews antwortete; Richling vergriff sich sehr im Ton, und Hildebrandt gab lässig den Uli Hoeneß, es sei doch klar, dass Richling aufgeregt sei, der habe wohl Angst – und brauche PR. In einer Zeitung wurdenRichlings Hildebrandt-Beschimpfungen als »Vatermord« bezeichnet; insofern lustig, da Richling immerhin auch schon 55 Jahre alt ist. Bisschen spät für einen Vatermord. Aber es spricht für Realismus in der Selbsteinschätzung der ARD, wenn eine »Formatverjüngung« in die Hände eines 55-Jährigen gelegt wird.
    Die Sendung solle »jünger, heutiger und schneller« werden, hatte Richling die »Renovierung des Sendungskonzepts« erläutert. Leider verwechselt er Schnelligkeit mit Geschwindigkeit und kreischt heute noch aufgeregter als sonst querfeldein und ruckelt dabei an seiner Brille herum; es ist mühsam, ihm zu folgen. Die Aufgeregtheit und das Brillezurechtruckeln sind Richlings bevorzugte Stilmittel, und dieser Tage ist er besonders aufgeregt, auch abseits der Kamera. Am Nachmittag, in einem hektischen Telefonat, hatte er noch mal alles aufgesagt, Hildebrandt geriere sich als Humor-Papst und Kabarett-Fundamentalist, sei ein Altgenosse, der kein politisches, sondern immer nur parteipolitisches Kabarett gemacht habe und so weiter; Richling war so aufgeregt und überinterviewt, dass er auf normale Fragen, wie etwa die, warum denn in dem neuen Titel »Satire Gipfel« der Bindestrich fehlt, gar nicht einzugehen vermochte, stattdessen schwallartig zeterte, »das Verrückte ist ja, dass der Dieter …« – und wenn man nicht ganz genau zuhörte, wähnte man sich in der Gemengelage einer zu Bruch gegangenen Prominenten-Liaison, etwa zwischen Sandy Meyer-Wölden und Boris Becker. Er verstehe den Hass nicht, sagte Richling immer wieder.
    Hass? Eine Stunde vor der Sendung, am Küchentisch seines Hauses im Münchner Stadtteil Waldperlach, streicht sich Dieter Hildebrandt Butter auf ein Brot und schüttelt den Kopf: »Hat doch nichts mit Hass zu tun, darum zu bitten, dass der Titel, den ich 1980 für eine politische Kabarettsendung erfunden habe, nicht mehr verwendet wird, wenn das Konzept der Sendung so grundsätzlich geändert wird.« Und warum gleich per Anwalt? Ähnelt das nicht dem Verhalten kleinbürgerlicher Nachbarn, die sofort die Polizei rufen, wenn es mal laut wird – also klassischer »Scheibenwischer«-Charaktere eigentlich? Hildebrandt legt

    Gurkenscheiben auf sein Wurstbrot und bleibt ganz ruhig. »Ein Brief vom Anwalt geht direkt an den Intendanten. Alles andere strandet zwischen irgendwelchen Abteilungsfluren solcher Behörden.« Sofort hat man den sehr jungen Hildebrandt in der Böll-Verfilmung »Doktor Murkes gesammeltes Schweigen« vor Augen, wie er dort in der Abteilung »Kulturelles Wort« eines öffentlich-rechtlichen Senders verzweifelt. Man sitzt also am Küchentisch mit diesem zweifellos wichtigsten deutschen Nachkriegs-Kabarettisten – und es erscheint einem geradezu absurd, noch weiter zu erörtern, was genau Mathias Richling im »Focus«-Interview oder bei »Maischberger« oder wo immer gesagt hat. Viel interessanter von Dieter Hildebrandt zu erfahren ist doch, wie das damals war mit Böll, mit Jurek Becker oder Willy Brandt, oder mit den Auftritten in Leipzig 1985. Anders als Richling hat

Weitere Kostenlose Bücher