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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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dem ich in regelmäßigem Kontakt stand. Und unser Film, so verrückt das klingen mag, diente mir auch als Hilfskonstruktion, durchzuhalten und mich aus dem Desaster zu manövrieren: Ich wollte, dass er offen, aber tendenziell eher »gut« endet.
    »Wie geht es Ihnen?« – so begann jedes unserer Gespräche. Und irgendwann konnte ich dann wahrheitsgemäß auch mal Erfreuliches berichten.
    Als ich wieder bei Sinnen und zurück in friedlicheren Lebensbahnen war, wurde der Film im Fernsehen gezeigt, Herlinde Koelbl und ich schauten ihn gemeinsam an (ich hatte ihn zuvor noch nicht gesehen). Als er begann, fassten wir uns kurz an den Händen, blickten uns an – und wenn sie eine Kamera dabeigehabt hätte, wäre dies der Moment gewesen, in dem sie schnell meine Hand losgelassen und auf den Auslöser gedrückt hätte. Ein abenteuerliches Experiment lag hinter uns, und wir waren beide froh, dem Leben wieder etwas abgerungen zu haben. In Wort, Ton und Bild festzuhalten, was der Fall ist – um nichts sonst geht es doch.
    Ich habe mir diesen Film seither nicht mehr angesehen, denn es ist nicht gerade eine Komödie; aber neben dem Rohmaterial, das mir für spätere literarische Verwertung nun zur Verfügung steht, ist er ein Mahnmal, das ich immer im Kopf habe. Und wenn ein Schlaukopf daherkommt und sagt, das sei doch Exhibitionismus, dann sage ich dem Schlaukopf: Genau, Schatz – es ist Kunst. Und die handelt von der Wirklichkeit.
    Als im vergangenen Jahr bekannt wurde, dass der Bundesnachrichtendienst über Monate Herlinde Koelbls Tochter Susanne, »Spiegel«-Reporterin, bespitzelt, nämlich ihren E-Mail-Verkehr mit einem afghanischen Minister überwacht hatte, fand ich das natürlich, wie jeder, unerhört. Allerdings dachte ich auch, dieser Gesetzesverstoß ist zwar nicht akzeptabel, aber doch nachvollziehbar, also, sozusagen ganz gut gedacht vom BND: Wenn irgendjemand weiß, was los ist – dann die Koelbls.

[ Inhalt ]
    Scientology
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragt es aus dem unecht wirkenden Gesicht am Empfang. Tja, helfen, das hättet ihr gern, denkt man und sagt vorsichtshalber ganz schnell: »Äh, nein. Ganz und gar nicht.«
    War es ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin, mit dem/der man da sprach? Man hat es kurz darauf schon vergessen, kann sich auch nicht an Einzelheiten des maskenartigen Empfangsgesichts erinnern, bei der Erstellung eines Phantombilds könnte man kaum behilflich sein. Mehrere Personen waren es auf jeden Fall, die sich sofort um einen kümmerten. Die Berliner Scientology-Zentrale hat Journalisten eingeladen, in einer halben Stunde werden sie da sein, man wird sie ein paar Stockwerke höher mit Propaganda-Videos foltern. Jetzt kommt Reinhard Egy, der Sprecher der Sekte, an den wird man sich erinnern können: Der gibt einem seine Visitenkarte und er spricht mit schwäbischem Dialekt. Ein Mensch, ein echter Mensch, guten Tag! Aber auch der ist natürlich ordentlich gehirngewaschen, es klingt nur alles einen Tick harmloser, wenn es schwäbisch ausgesprochen wird. Vielleicht ist das noch gefährlicher.
    Herr Egy erzählt, dass er früher Probleme hatte, frei vor vielen Menschen zu sprechen. Er habe dann diverse »Positiv-Denken-Bücher« studiert und sei irgendwann bei den Schriften des Scientology-Gründers Ronald Hubbard gelandet – »Dianetik, wenn desch hilft, desch wär’s«, habe er damals gedacht. Und natürlich hat es geholfen, will er mit dieser kleinen persönlichen Heilsgeschichte sagen: Bevor er Scientologe wurde, hatte er Probleme, vor Menschen zu sprechen, und nach seinem Eintritt in die Sekte ist das, was ihm einst Probleme bereitete, seine Stärke geworden, nämlich sein Beruf – Sprecher. Er redet irgendwas von »Persönlichkeitsteschts« und packt einen plötzlich am Arm: »Jeder hat a Problem«, weiß Herr Egy. Damit er einem jetzt nicht noch näher kommt,

    weist man ihn lieber schnell auf ein fehlendes Komma in einem groß an der Wand stehenden Hubbard-Schwurbel-Satz hin.
    Unerschütterlicher Verfechter der freiheitlichen Grundordnung, der man ist, hatte man vor dem Scientology-Besuch lieber noch mal rasch beim Verfassungsschutz angerufen; als »gesellschaftlich gefährliche Psychosekte« wird die Organisation dort eingestuft, die beobachtet werde, weil sie verfassungsfeindliche Tendenzen aufweise. Darüber hinaus, sagte die freundliche Dame vom Verfassungsschutz, verfolge die Sekte »kommerzielle Ausbeutung ihrer Mitglieder«. Die Masche ist simpel, »billig« kann man sie

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