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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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Enzensberger.
    Für Sonntagabend, zur ersten Hochrechnung, haben seine Frau und er ein paar Gäste eingeladen, eine Wahlparty, das sei immer sehr vergnüglich. Er könne auch eine gewisse Schadenfreude nicht leugnen, wenn ein Verlierer sich stammelnd winde und logischerweise nicht sagen dürfe, was er gerade wirklich denkt, nämlich dass er tief enttäuscht ist von den Wählern. Wenn es sehr knapp werde bei dieser oder jener Partei, sei es natürlich interessanter, da käme wenigstens ein Minimum an Spannung auf. Aber wie auch immer es ausgehe, Tränen würden nicht vergossen an solchen Abenden, das sei im Hause Enzensberger nicht üblich.

[ Inhalt ]
    Das Rauchverbot
    Reinkommen, ein Bierchen bestellen, sich ächzend in die Ecke setzen und dann zuallererst mal eine richtig gute Geschichte erzählen – ja, Frank Zander versteht es, eine Kneipe zu betreten, in diesem Fall das »Wirtshaus Wuppke« in Charlottenburg. Hier wird seit letzter Woche wieder auf halbwegs gesicherter rechtlicher Grundlage geraucht, überhaupt undenkbar, dass hier irgendwann mal nicht geraucht wurde.
    Das »Wirtshaus Wuppke« ist eine dieser vom Bundesverfassungsgericht gemeinten Eckkneipen, kleiner als 75 Quadratmeter, ein wunderbarer Beispielbereich also, und Wuppke, das klingt zudem so kneipig urberlinerisch, Bolle, Molle, Konnopke, knorke – Wuppke; besonders toll an dieser Eckkneipe: Sie liegt sogar wirklich fast an einer Straßenecke, nur ein Haus weiter kreuzen sich Schlüter- und Kantstraße. Ein Flipperautomat blinkt, ein paar Trinkprofis sitzen schon am Tresen, obwohl draußen noch die Sonne scheint, und jetzt sollte man wirklich Frank Zander zuhören, also, das mit der Blessur seines linken Mittelfingers, das kam so: Als er vor Kurzem endlich mal wieder das Grab seines 2003 verstorbenen tibetanischen Tempelhundes Jeanny auf dem Tierfriedhof Falkenberg besuchte, wollte er dort die Hecke stutzen und ist dann mit dem linken Mittelfinger irgendwie in die Heckenschere gekommen. Blöd für die Fingerkuppe, doppelt blöd für die Fingerkuppe eines Gitarristen. Aber Zander hat seine Gitarre heute trotzdem dabei, er hat trainiert, sie auch ohne den krankgemeldeten Mittelfinger zu spielen, das gehe halbwegs, sagt er, nur manche Dur-Akkorde klängen jetzt leider nach Moll.
    Bravo – super Kneipengeschichte. Und wie das mit erfolgreichen Kneipengeschichten so ist, geht auch diese natürlich noch weiter, die Umsitzenden zünden sich eine weitere Zigarette an, Frank Zander nimmt einen Schluck Bier und setzt also noch einen drauf: Eine Journalistin habeihn gefragt, ob das mit der Fingerverletzung nicht vielleicht bloß ein PR-Gag sei – na, und der habe er dann schöne Fotos vom Finger ohne Verband geschickt. Iiiiii, Ouuuhh und Hoho rufen da alle, die Stimmung ist also hervorragend im »Wirtshaus Wuppke«. Ein Bier, bitte! Feuer, die Dame? Trink, trink, rauch, rauch.
    Jetzt packt Zander seine Gitarre aus, schrummelt sich ein bisschen ein, ob aus den Dur-Akkorden wirklich Moll-Akkorde werden, ist nicht so genau rauszuhören, es wird schon so sein, es ist ja auch vollkommen egal – in die Kneipe kommt man, um sich einig zu sein, und die da draußen, die haben sie doch nicht mehr alle. Mit diesem Rauchverbot zum Beispiel! Herrliches Kneipenthema. Am besten, man bespricht es mit Zigarette im Mundwinkel. Frank Zander selbst raucht nicht, wie so vieles erledigt auch dies seine Frau für ihn. Frau Zander raucht so viel, man könnte sagen: für zwei. Und ihr Mann hat eine neue Platte aufgenommen, da ist eine neue Version seines Lieds »Rauchen macht frei« drauf. Zander legt noch mal kurz die Gitarre zur Seite und erklärt, warum er als Nichtraucher gegen ein allzu strenges Rauchverbot ist: Er sei in Neukölln aufgewachsen und demzufolge ein Kneipenkind. Die Berliner Eckkneipe sei ein heiliger Ort – und ohne Dunst keine richtige Kneipe. Dass man in Restaurants nicht mehr rauchen dürfe, schön und gut, aber die Eckkneipe solle man doch bitte so, wie sie immer war, unter Denkmalschutz stellen.
    Allgemeines Kopfnicken, so ist es, endlich sagt es mal einer. Von Frank Zander, der ein Lied über den Eisbären Knut geschrieben und mit Ostkurven-Gespür Rod Stewarts »Sailing« zur Hertha-Hymne »Nur nach Hause« umgetextet hat, durfte man, aus West-Berliner Eckkneipensicht, ein das Rauchen in der Kneipe befürwortendes Lied geradezu erwarten. Dann mal los: »Rauchen macht frei, rauchen macht high«, singt Zander jetzt, greift dazu mit den unverletzten

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