Auch Deutsche unter den Opfern
Fingern auf die Gitarrenseiten, und im »Wirtshaus Wuppke« wird geschunkelt. Ein Lied, das man noch nicht kennt, mitzusingen, ist schwierig, aber in einer Kneipe geht das: bisschen summen, Endreime raten und irgendwie jedenfalls dabeisein. Und Zander, der Kneipenprofi, leitet nun über zu dem Lied, das jederkennt, dieses Lied gegen das schlechte Gewissen, ein Hit in jeder Kneipe: Nur nach Hause, nur nach Hause, nur nach Hause geh’n wir nich’!
Zander packt die Gitarre ein, kriegt ein neues Bier hingestellt, und jetzt kann man mit ihm nochmal richtig kneipig über dieses blöde Rauchverbot sprechen, mit heiligem Ernst Stammtisch-Wahrheiten ins Bier murmeln, was natürlich rauchend einfach am meisten Spaß macht: Nehmt uns alles, aber lasst uns gefälligst unsere Eckkneipe! Eine verrauchte Kneipe ist schön, so wie ein Sonnenuntergang schön ist, oder wie ’ne schöne Frau schön ist. Schön ist schön! In der Kneipe kommen alle zusammen, alle Arten von Menschen – davon die Raucher auszuschließen, das widerspricht dem Prinzip Kneipe! Was kommt denn dann als Nächstes – Trinker raus? Kann doch wohl nicht angehen!
Diese Hexenjagd auf Raucher, sagt Zander, sei mehr als ärgerlich. Es gebe wirklich größere Probleme auf der Welt, diese Arschlöcher von der Börse zum Beispiel, die Spekulanten, die machten doch die Welt kaputt. Oder das ganze Kerosin in der Luft, durch die Billigflieger, durch den Schönefeld-Ausbau – dagegen sage keiner was. Zander ist jetzt in kneipigster Pauschalargumentationslaune, Kneipe, das kann er wirklich gut, man kommt aus dem Kopfnicken gar nicht mehr raus: »Mann, ey, wie viele sterben an Blödsinn, an Hirnschwund! Da können mir auch Mediziner erzählen, was sie wollen, wir bringen uns schon selbst früh genug im großen Stil um. Und wenn Mutter Natur aufsteht, dann ist das alles scheißegal, ob nun 75 Quadratmeter oder keine zubereiteten Speisen, Stulle nur ohne Butter oder Knacker nur kalt, oder wie oder was.« Zander wird, auch das gehört zum richtigen Kneipengespräch, kurz düster: »Ich gebe unserer Erde noch 15 Jahre, wenn das alles so weitergeht.«
Oha. Noch ein Bier, bitte!
Draußen Sonne, aber hier sammeln sich jetzt alle um Zander. Hier geht’s ab, sagt er frohgemut und schwärmt: »Man trinkt, man quatscht, philosophiert, es gibt tolle Leute, Liebesanbahnungen in der Ecke, Streit, Versöhnung, es wird geknutscht, sich ausgeheult, geschimpft, geprostet – und natürlich geraucht.«
An solchen Orten seien ihm immer die besten Ideen gekommen, sein Hit »Hier kommt Kurt« zum Beispiel: in der Kneipe gedichtet. Auf eine »Kassenbericht Frühschicht«-Formularrückseite malt Zander nun einen Kurt für den Wuppke-Wirt. Kurt ist Raucher, sagt Zander, Kurt ist lässig, unrasiert, mit Kippe im Mundwinkel – und der ist mit euch. »Kurt ist mit Euch«, schreibt Zander also unter die Kurt-Zeichnung, die links vom Tresen an die Wand gehängt wird, denn Zander selbst hat ja nicht jeden Abend Zeit.
Der Wirt sagt: »Die bewirtete Fläche ist unter 75 Quadratmeter groß. Es gibt hier Buletten, Eintopf, Knacker – zubereitet? Dit is mir scheißegal. Wir haben auch ’ne jesundheitliche Verantwortung. Wer trinkt, braucht ’ne Grundlage.«
Man möchte sich an ihn schmiegen, an diesen gemütlichen Wirt, der jetzt noch ein paar Verschwörungstheorien parat hat, wie es zu so neuen Gesetzen kommt. Automatisch wird Zander ein nächstes, frisch gezapftes Berliner Kindl hingestellt. Nach dem schönsten Kneipen-Satz gefragt, nennt Zander diesen: »Ey Alter, morgen hör ick uff.«
[ Inhalt ]
Der Berliner Weihnachtsbaum
Wenn Polizisten lachen, ist Vorsicht geboten. In den meisten Fällen folgt auf dieses Lachen nämlich eine schlagartig tiefernst vorgetragene Rechtsbelehrung: Also, so geht das nicht. Denn: Da könnte ja jeder kommen. Die beiden Polizisten, die an diesem Dienstagmorgen vor einer Kleingartenkolonie in Neukölln die dort tags zuvor abgesägte und nun auf einem Schwertransporter liegende Fichte begutachten, die lachen also erstmal. Zuerst lachen sie über die Fichte, die als Christbaum für den Weihnachtsmarkt vor der Gedächtniskirche ausgewählt wurde und heute dorthin transportiert werden soll. Als richtiger Berliner hat man sich angewöhnt, jedes Jahr über diesen größten Berliner Weihnachtsbaum zu lachen: mal war er zu struppig, mal morsch, mal blieb er beim Transport unter einer Brücke hängen. Was also ist in diesem Jahr lustig am
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