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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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wird nun auf einer großen Leinwand ein Filmchen gezeigt, das den Ministerpräsidenten als ebenbürtigen Gesprächspartner der ganz Großen ausweist: mit Sarkozy, dem Papst und ähnlichen Kalibern. Das erinnere ihn an Fotowände in Restaurants, sagt Enzensberger, diese stolz gerahmten Beweisbilder, ja, auch Robbie Williams, Caroline von Monaco, Frank Ribéry und Wolfgang Joop haben hier schon Meeresfrüchte nach Art des Hauses gegessen.
    Mit einem so aufmerksamen, meinungsfreudigen und amüsanten Analytiker wie Enzensberger von einem Partei-Brimborium zum nächsten zu spazieren, heißt natürlich, nach Peinlichkeiten zu fahnden, Werbematerialien unter ästhetischen und sprachpolizeilichen Gesichtspunkten zu beurteilen, Reden und Plakate vor allem auf ihren Gehalt unfreiwilliger Komik hin zu untersuchen. Bald schon spricht man praktisch nur noch in Gags: Schauen Sie mal! / Haben Sie das gehört? / An was erinnert Sie das? / Die Geste ist immer gut / Das war sehr überzeugend gelogen! – und so weiter. Das ist natürlich billig – und macht ebenso natürlich großen Spaß. Aber es ist jetzt Zeit, mal einen Kaffee außerhalb der Lautsprecherreichweiten und Bühnensichtweiten zu trinken, mal zu versuchen, die Sache ernst zu nehmen. Eine Zigarette zu rauchen und dabei, gerade weil es sich so anbietet, auch das blöde Kabarett-Thema »Bayerische Rückwärtsrolle beim Rauchverbot« nicht anzusprechen. Was erwartet Hans Magnus Enzensberger, jetzt mal ganz im Ernst, von der Politik? Sie müsse, sagt er, alles daransetzen, dass das System nicht abstürzt. Das klinge vielleicht defensiv, sei aber ein großes Projekt. Im Sinneeiner Utopie: gleich null, da es vor allem um Vermeidung gehe. Die trotzdem so zu nennende Utopie, dass es nicht schlimmer werde, das sei allerdings nicht wenig – diese historisch sehr unwahrscheinliche Lage in Europa aufrechtzuerhalten: Frieden über einen solch langen Zeitraum, dazu stete Verbesserung der ökonomischen Situation. Das höre sich erstmal langweilig an, sei aber ein sehr ehrgeiziges Ziel; es solle ja hier nicht zugehen wie in Burkina Faso beispielsweise, oder? Der Erregungspegel sei niedrig, mitreißend seien die innenpolitischen Themen in der Regel nicht, aber diese gewisse Langeweile, die man gegenüber der Politik empfinde, sei doch in Wahrheit ein großes Geschenk, ein unerhörter Luxus. Er, Jahrgang 1929, habe andere Zeiten erlebt und wünsche sich die wahrlich nicht zurück. Die großen Kämpfe um halbe Prozentpunkte rauf oder runter mit dem Pflegeversicherungsbeitrag, also, wenn die Probleme eines Landes so beschaffen seien, gehe es diesem Land doch zweifellos hervorragend.
    Sind Wahlen also bloße Simulation?
    Überhaupt nicht, schließlich gebe es seitens der Wähler auch so etwas wie Bestrafungswünsche, und für deren Realisierung sei die Stimmabgabe ein geeignetes Instrument; man könne Wahlen als permanente Zähmung der politischen Klasse begreifen. In Deutschland müsse man sich als Politiker immerhin beherrschen, könne sich nicht aufführen wie etwa diese Zwillinge in Polen. Öffentliche Kontrolle, dafür seien Wahlen schon geeignet, zur Erhöhung der Hemmschwelle gewissermaßen. Die Tochter von Franz Josef Strauß zum Beispiel, Monika Hohlmeier, die habe es versaut, die habe sich eben nicht beherrscht. Etwas später bekommt Enzensberger einen Handzettel überreicht: »Monika Hohlmeier, Ihre Zweitstimmenkandidatin«. Ach, staunt er nun doch mal, die dürfe also wieder mitmachen?
    Inzwischen ist Angela Merkel auf der CDU-Bühne eingetroffen, sie ist sehr heiser, der Marienplatz jetzt sehr voll. Das kenne man doch von Musik-Festivals, sagt Enzensberger, die beste Band spiele immer zum Schluss. Gerade singt die beste Band der Union ihren Hit »Stromkommt aus der Steckdose – ganz so einfach ist es nicht«. Dann klassische Merkel-Rochaden:
    Erneuerbare Energien? Ja. Aber nicht nur. Erstmal.
    Viel Lob für Bayern, natürlich. Und in so ein Lob passt ja nebenbei viel rein: Christian Wulff, sagt die Kanzlerin, habe jetzt eine Exzellenz-Universität in Göttingen, das sei schön – aber die meisten davon gebe es immer noch in Bayern.
    Im Grunde, sagt Enzensberger, handele es sich um eine erweiterte Bürgermeisterwahl. Was könne denn der Bayerische Landtag tun, wenn die Weltkonjunktur zusammenbricht? Der Bürger Enzensberger fragt nun einen der zahlreichen Polizisten, ob der Überstunden abrechnen dürfe, wenn das hier länger als geplant dauert? Darf er. Na also, sagt

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