Auch Dicke haben Hunger (German Edition)
zärtliche Art
miteinander umzugehen, was ihr immer den Ruf einbrachte, Vaters Liebling zu
sein. Aber dies war nicht wahr, Anton hatte alle seine Töchter gleich gerne,
nur mit Inge war es am einfachsten auszukommen. Wie auf Kommando strömten
plötzlich die weiteren Geburtstagsgäste herein und Inge hatte keine Zeit mehr
für ein vertrautes Tete-a-tete mit ihrem Vater.
Obwohl Sophie alle Verwandten eingeladen hatte, war die
Zahl der Gäste überschaubar. Die Eltern von Einzelkind Peter waren vor zehn
Jahren bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Antons gesamte Familie war im
Krieg durch einen Fliegerangriff umgekommen. Sophies Schwestern Emilie und
Martha waren verwitwet und hatten beide aus Gesundheitsgründen absagen müssen.
Aber einige ihrer Kinder waren gekommen. Besonders gerne mochte Inge ihren
Cousin Wolfgang, der Sohn von Tante Martha. Als Kinder hatten Wolfgang und sie
gerne miteinander gespielt. Doch leider
sahen sie sich nur selten, denn Wolfgangs Frau Marita legte keinen Wert auf
seine Verwandtschaft. Sie war eine verwöhnte reiche Frau, die ihren Mann stets
spüren ließ, dass er nichts mit in die Ehe gebracht hatte. Wolfgangs Schwester
Bärbel, die Inge ebenfalls sehr gut leiden konnte, war mit ihrem Mann Hans
gekommen. Bärbel umarmte Inge und meinte: "Inge, du siehst wirklich
fabelhaft aus. Das rote Kleid steht dir Klasse. Es passt genau zu deinem Typ.
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich nicht glauben, dass du heute vierzig
wirst. Du siehst wesentlich jünger aus."
Bärbels und Wolfgangs Schwester, Edith, hatte abgesagt,
weil sie angeblich nach ihrer Mutter schauen musste. Inge, die die schnippische
Edith nicht ausstehen konnte, war das nur recht. Von Tante Emilies Kindern war
nur Anna mit ihrem Ehemann gekommen. Als sie Inge gratulierte, fragte diese
nach: "Du wirst doch dieses Jahr auch noch 40".
"Ja, aber erst im Juli. Ich werde allerdings nicht
so großartig feiern können wie du."
"Wenn Papa das alles nicht bezahlen würde, könnte
ich es auch nicht", vertraute sich Inge ihrer Cousine an.
Nachdem Inge nun auch ihre Freunde begrüßt und mit jedem
leichten Smalltalk gehalten hatte, wurde das Essen aufgetragen. Nun bemerkte
Inge erst wie ausgehungert sie seit ihrer Diät war und langte kräftig zu. Sie
dachte: "Ist ja nur für heute."
"Na Inge, dir schmeckt es aber gut", stichelte
ihr Schwager Rüdiger.
"Was glaubst du denn? Auch Dicke haben Hunger",
konterte Inge zum Amüsement der Gäste.
"Ja unsere Inge, hat immer Sinn für Humor“, lachte
Anton. "Iss nur mein Mädel, schließlich hast du vor deinem Geburtstag
genug gehungert."
"Auf diese Weise nimmst du nie ab“, ereiferte sich
Elvira.
Inge warf ihrer Schwester einen grimmigen Blick zu,
erwiderte aber nichts. "Der Tag heute ist viel zu schön um zu
streiten", dachte sie.
"Mama, komm mal rüber an den Tisch?“, kam Sabine zu
ihrer Mutter. Die Kinder bzw. Jugendlichen waren aufgrund langjähriger
Erfahrungen an einen Extratisch verbannt worden. "Felix benimmt sich wie
ein Schwein. Wenn der weiter so frisst, kotzt er wieder alles voll."
Elvira hob angewidert die Augenbrauen: "Musst du
denn am Essenstisch solche Ausdrücke verwenden? Hat dir deine Mutter keinen
Anstand beigebracht?"
Sabine hätte ihrer Tante am liebsten eine passende
Antwort gegeben. Aber bevor sie den Mund aufmachen konnte, hatte Inge ihre
Tochter vorwärts geschoben.
"Deine Schwester hat echt eine Macke. Warum sagst du
denn nichts auf ihre Frechheiten? Schließlich ist sie dein Gast?"
"Deswegen! Meinst du ich vermiese mir meine Feier
wegen Elvira. Du kennst sie doch, was regst du dich denn auf?" Entsetzt
hielt sie inne, als sie ihren Jüngsten dabei ertappte, wie er einen Löffel
Kartoffelgratin mit einer Praline darauf herunterwürgte.
"Felix, was
soll denn das bedeuten?"
"Och, ich will nur zeigen, dass man das auch essen
kann", schmatzte er mit vollen Backen.
"Er hat eben sogar Fleisch zusammen mit einer
Praline gegessen", petzte Simone, ganz die Tochter von Elvira.
"Felix höre sofort mit dem Unsinn auf. Willst du mir
denn meinen Geburtstag verderben. Wenn dir schlecht wird, wer muss sich dann um
dich kümmern?"
Felix, der Lausbub, hatte niemanden ärgern wollen und
geknickt versprach er seiner Mutter mit dem Unsinn aufzuhören.
Während die Gesellschaft auf die Nachspeise wartete, ließ
Anton es sich nicht nehmen, eine Rede zu halten, in der er seine Tochter Inge
in den höchsten Tönen lobte.
"Bei Lydia und mir hat Vater kein
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