Auch Dicke haben Hunger (German Edition)
Sophie, meine lieben Kinder!
Vor vier Wochen habt ihr mich zu Grabe getragen. Sicher
hat sich der größte Schmerz schon etwas gelegt. Aber euer Leben geht weiter.
Ich möchte nicht, dass ihr lange um mich trauert, sondern mich immer als
Menschen in Erinnerung behalten werdet, der das Leben mit all seinen Tücken
bejaht und zugepackt hat, wo es nötig war. Mein Testament wird sicher nicht so
ausfallen, wie sich es mancher von euch vorgestellt hat. Ich möchte keinen von
euch verletzten, sondern habe das Wohl von jedem einzelnen vor Augen.
Meine liebe Sophie! Ich weiß, dass du dich in unserem
großen Haus alleine nicht wohl fühlst, sondern fürchtest. Deshalb werde ich dir
nicht das Haus vererben, sondern ich habe für dich in München, in einer ganz
exklusiven Seniorenwohnanlage, eine Eigentumswohnung gekauft. Diese kannst du
mit allem Inventar aus unserem Haus, das du mitnehmen möchtest möblieren, aber
vielleicht steht dir ja auch der Sinn nach etwas Neuem, nach etwas Modernem.
Ich glaube nicht, dass du mit einem unserer Kinder in einem Haus wohnen
möchtest, sondern es ist für alle besser, wenn jeder für sich ist. Und mitten
in der Stadt hast du dir doch schon immer eine Wohnung gewünscht. In Liebe dein
Anton
Der Anwalt hielt beim Vorlesen inne, da Sophie laut
aufschluchzte. Inge runzelte die Stirn und hoffte, dass ihre Mutter nicht vor
Enttäuschung weinte. Sie dachte: „Wie konnte er nur so etwas tun. Warum soll
sie auf ihre alten Tage ausziehen. Ich hoffe, Elvira wird ihr anbieten dort
wohnen zu bleiben.“ Rüdiger, der sich schon als Hausbesitzer sah, blähte die
Brust und schmunzelte Elvira zuversichtlich an, die ebenfalls einen sehr
zufriedenen Ausdruck zu Tage legte. Der Anwalt räusperte sich vernehmlich und
fuhr fort:
Meine lieben Kinder! Ich hoffe, dass ihr nicht
miteinander hadert, wenn ihr vielleicht nicht das bekommt, was ihr denkt, es
würde euch zustehen. Ich habe das Erbe nach bestem Wissen und Gewissen verteilt
und möchte nicht, dass ihr streitet. Sollte jedoch einer von euch auf den
Gedanken kommen, dass Erbe anzufechten, wird dieser nur seinen Pflichtteil
erhalten. Ich vertraue auf euch. Euer Vater
Inge musste ständig zu Elvira und Rüdiger schauen. Die beiden kamen ihr vor, wie zwei
lächerliche Schießbudenfiguren, da sie ständig zustimmend mit dem Kopf nickten.
„Ich werde bestimmt kein Testament anfechten“, dachte Inge und lächelte Peter
an, der sie besorgt anschaute. „Ich bin mit allem zufrieden, was ich bekomme.
Papa hat immer nur das Beste für jeden von uns im Auge gehabt. Nur Mama tut mir
leid. Ich hoffe, sie ist nicht zu sehr enttäuscht.“
Der Anwalt räusperte sich wieder lautstark. „Meine lieben
Anwesenden! Nun möchte ich Ihnen das Testament vorlesen.“ räusper...räusper
Meiner geliebten Frau Sophie vermache ich den gesamten
Familienschmuck, das Inventar meines Hauses in München, eine
Vierzimmer-Eigentumswohnung und Bargeld, Fonds und Aktien im Wert von fünf
Millionen Euro.
Meiner Tochter Lydia übereigne ich die Eigentumswohnung
in der sie bereits bewohnt. Ferner die Ferienwohnung auf Sylt und Bargeld,
Fonds und Aktien im Wert von zwei Millionen Euro und 20 Prozent der
Firmenanteile.
Meiner Tochter Elvira vererbe ich das Haus neben dem
Firmengelände, dass sie mit ihrer Familie bereits bewohnt und die Ferienwohnung
im Tessin, Bargeld, Fonds und Aktien im Wert von 500.000 Euro. Außerdem erhält
Sie 40 Prozent der Anteile meiner Firma, der mein Schwiegersohn Rüdiger
weiterhin als Geschäftsführer vorstehen soll. Sollte die Ehe geschieden werden,
kann meine Tochter einen Geschäftsführer ihrer Wahl einsetzen.
Meine Tochter Inge... doch bevor der Anwalt weiter
vorlesen konnte, kam es zu einem starken Geflüster auf der Seite von Rüdiger
und Elvira. Inge konnte zwar nichts genaues hören, aber „ und das Haus, wer
erbt das Haus?“, drang bis zu ihr vor. Energisch bat der Anwalt um Ruhe und las
weiter:
Meine Tochter Inge soll das Haus in der Apfelallee erben
und das restliche Inventar, dass meine Frau Sophie nicht benötigt. Ein
schriller Aufschrei von Elvira: „Wieso bekommt sie das Haus und nicht ich. Ich
bin älter als sie, mir steht es zu.“
“Elvira reiß dich zusammen!“, zischte Sophie sie an. „Was
willst du mit dem großen Haus. Für Inge und ihre Kinder ist es doch viel besser
geeignet.“
“Du hast es gewusst, Mutter. Du hast gewusst, dass Inge
das Haus bekommen soll!“, gellte Elviras hysterische Stimme durch den
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