Auch Dicke haben Hunger (German Edition)
irgendwohin verkrochen und geweint, aber sie musste
tapfer bleiben. Sie küßte ihren Vater, nahm seine Hand und mit erstickter
Stimme flüsterte sie: „Hallo Paps, was machst du denn für Sachen?“ Als er Inge
sah, wollte er etwas sagen, aber er brachte nur einige unverständliche Laute
hervor. „Oh Paps ich habe dich so lieb, versprich mir, dass du wieder gesund
wirst“, schluckte sie mutig die Tränen
herunter. „Du weißt doch, wir zwei sind Kämpfernaturen.“
Inge besuchte ihren Vater nun jeden Tag mehrere Stunden
lang, sie wechselte sich hierbei mit Sophie und Elvira ab. Ohnmächtig
betrachtete die junge Frau das Dahinsiechen ihres Vaters. Der Kummer brach ihr
fast das Herz, da konnten ihr auch Peter und die Kinder nicht helfen. Jeden
Abend heulte sie sich in den Schlaf und tagsüber stopfte sie vor lauter Pein
alles Essbare, das sie ergattern konnte in sich hinein.
„Wie kannst du in so einer Situation nur ständig essen?“,
fragte Sophie, die vor lauter Sorge um ihren Mann immer dünner wurde. „Mir ist
der Magen wie zugeschnürt?“
Inge konnte es nicht erklären. Ihr war, als hätte sie ein
großes Loch im Bauch und ihr Gewicht war ihr im Moment mehr als egal. Sie
fühlte einen gewissen Trost, wenn sie den Geschmacksnerven etwas bieten konnte
und den meisten Trost gab ihr Schokolade. Seit Antons Krankheit hatte Inge
gewichtsmäßig wieder zugelegt und es inzwischen auf 96 Kilo gebracht. Als es
Anton wieder etwas besser ging, stellten die Angehörigen die Nachtwachen ein.
„Ich glaube er schafft es. Anton war schon immer sehr
stark“, keimte Hoffnung in Sophie auf.
Aber Antons Kämpfernatur half ihm nichts mehr: Vier
Wochen nach seinem Schlaganfall starb er nach kurzen Besserungsphase eines
nachts ganz allein in seinem Krankenbett.
Kapitel
Fünf -- 96 - 99 - 97 -- Das Testament
„Pst, seid etwas leiser“, mahnte Inge ihre Kinder, als
sie aus Sophies Schlafzimmer kam. „Oma ist endlich eingeschlafen.“
Inge hatte den Arzt gerufen, denn Sophie war, kurz
nachdem sie von Antons Tod erfahren hatte, zusammengebrochen. Immerzu hatte sie
geschrieen: „A...nton, A...nton, warum lässt du mich alleine zurück.“ Inge und
Elvira hatten ihre Mutter noch nie im Leben in so einer Verfassung gesehen,
auch Peter, Rüdiger und die Kinder waren erschüttert, die stets beherrschte
Sophie so zu erleben.
„Inge, wie ich die Sache sehe, können wir Mutter nicht
alleine lassen. Deshalb ist es besser, wenn du bei ihr bleibst und dich um sie
kümmerst. Rüdiger und ich erledigen dann die Formalitäten mit dem Krankenhaus
und dem Leichenbestatter“, regelte Elvira die Angelegenheit, ohne ihre
Schwester zu fragen. Inge nickte und heulte leise vor sich hin. Ihr war alles
recht. Sie hatte noch bis heute Nacht geglaubt, dass ihr Vater sich wieder
erholen würde. Dann, als alle gegangen waren und Ruhe in das Haus ihrer Eltern
eingekehrt war, holte Inge das alte dicke Fotoalbum mit den Familienbildern
hervor und nahm Abschied von ihrem Vater.
Es war eine riesige Beerdigung. Inge staunte, wie viele
Leute Anton die letzte Ehre erwiesen. Sophies Schwestern und deren Kinder waren
aus Unterfranken angereist. All die Freunde, Bekannten, Nachbarn,
Geschäftsleute und die gesamte Belegschaft der Firma Wickel gaben Anton das
letzte Geleit. Sogar einige namhafte Größen aus Wirtschaft und Politik waren
erschienen. Sophie hatte nach außen hin ihre Würde wieder erlangt und ließ die
vielen Reden über sich ergehen. Beim anschließenden Leichenschmaus wichen ihr
Inge und Elvira nicht von der Seite. Die stumme Lydia, die dieses Mal ohne
Freund gekommen war, wußte nicht so recht wie sie sich verhalten sollte,
allzuviel Vertraulichkeit mit ihrer Mutter war ihr unbekannt. Aber sie suchte
ebenso wie ihre Schwestern Sophies Nähe und umsorgte sie. Nachdem alle Gäste
gegangen waren, erschien der Anwalt der Familie und gab bekannt, dass Anton vor
seinem Tod verfügt hatte, dass die Testamentseröffnung erst vier Wochen nach
seiner Beerdigung sein sollte.
„Was wird nun aus mir?“, jammerte Sophie. „Ich kann es
nicht ertragen, alleine in diesem riesigen Haus zu wohnen.“
„Wenn du nicht alleine bleiben willst, ziehen wir gerne
zu dir“, versicherte Rüdiger seiner Schwiegermutter. Er liebäugelte schon lange
mit der Villa der Wickels. Besonders der Wintergarten mit seinen exotischen
Gewächsen sowie der Swimmingpool im Keller hatten es ihm angetan.
„Aber natürlich Mutti, wir ziehen gerne zu
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