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Auch Du stirbst einsamer Wolf

Titel: Auch Du stirbst einsamer Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Mertens
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Ich mußte ihn erst anschreien, bevor er reagierte und zum Hörer griff. Ich schaute wieder auf Jimmy, und mir wurde fast übel. Ich hatte noch nie gesehen, wenn einem Menschen das Gesicht mit einer Flasche zerschnitten wurde. Die Wunden bluteten wie verrückt, und so sprang ich auf, rannte zur Theke, riß dort ein sauberes Handtuch aus dem Regal, lief wieder zurück zu Jimmy und drückte ihm das Handtuch auf die blutende Gesichtshälfte, so daß das Blut nicht so schnell rauslaufen konnte. Es war ein ekelhafter Anblick, und ich mußte dagegen ankämpfen, nicht zu kotzen. Armer Jimmy, dachte ich. Du wirst nie wieder in einen Spiegel schauen können, denn da wirst du immer ein halbes Monster sehen. Es wäre besser für dich, wenn du stirbst.
    Auf einmal stand ein Caporal neben mir und sagte:
    »Die Ambulanz wird gleich hier sein. Halte das Handtuch weiter drauf.«
    Er sagte dies so lässig, als wenn es um die Bestellung eines Bieres in einer Kneipe ging. Er war weder nervös, noch schien es ihm etwas auszumachen, daß vor ihm am Boden jemand lag und bald krepierte. Ich verfluchte in diesem Moment die Legion, die aus Menschen regelrechte Bestien macht, die weder Mitleid noch andere Gefühle im Leibe haben.
    Kurz darauf kamen die Sanitäter mit einer Bahre, und der eine nahm das Handtuch von Jimmys Gesicht und sagte:
    »Daß du das Handtuch auf das Gesicht gedrückt hast, war gut.«
    Aber als er Jimmys Gesicht genauer angeschaut hatte, sagte er: »Das sieht ganz schön böse aus. Der Junge wird nie wieder ein anständiges Gesicht haben.«
    Dann legten sie ihn auf die Bahre und trugen ihn hinaus. Mir tat Jimmy so leid, daß ich eine Wut auf den anderen hatte und ihn erschlagen hätte, wenn er vor mir gestanden hätte. Dann fragte ich einen, der neben mir stand:
    »Wo ist denn der andere, der die Flasche geschwungen hat?«
    »Den haben die anderen fast kaputt gemacht. Die Sanis laden ihn gerade in den Krankenwagen. Wenn der Caporal nicht gekommen wäre, hätten sie ihn totgeschlagen. Aber viel fehlt ihm auch nicht mehr, bis er den Arsch zukneift. Dieses Schwein hätte es verdient, daß man ihm die Kerze ausbläst!«
    »Da muß ich dir recht geben«, sagte ich nur darauf. Es herrschte im Foyer eine Aufregung, wie sie noch nie dagewesen war. Mittlerweile waren eine ganze Menge Caporal-Chefs und andere Soldaten angekommen, die fragten, wie die ganze Sache passiert wäre. Das Blut von Jimmy war immer noch auf dem Boden, und ich starrte darauf, als wenn es mein eigenes wäre.
    Warum mußte es Jimmy erwischen und nicht einen der Kameradensäue, von denen genug im Lager waren? Man konnte doch nicht einen Menschen so behandeln, nur weil er eine andere Hautfarbe hat. Deswegen ist er doch genauso ein Mensch wie jeder andere. Er ist genauso wie unsereins, und dennoch haben es die Schwarzen schwerer als die Weißen. Das wollte mir einfach nicht in den Kopf gehen. Ich bin so gut mit Jimmy ausgekommen, und ein Weißer macht so etwas mit ihm.
    Aber was soll man gegen diese Ungerechtigkeit machen, die diesen armen Kerlen täglich widerfährt? Ich bin alleine, ein Einzelner und kann nichts ausrichten.
    Die Aufregung hatte ein wenig nachgelassen und ein großer Teil der Caporals verschwand wieder. Ein anderer putzte das Blut von Jimmy auf, und mir war miserabel zumute. Am liebsten wäre ich über den Zaun gesprungen und auf und davon, wie es schon andere gemacht hatten. Ich steckte mir mit zitternden Händen eine Zigarette an und hoffte, daß es mir besser gehen würde. Auf einmal wurde zum Appell gepfiffen.
    Normalerweise war die Aufenthaltszeit im Foyer noch nicht zu Ende, und so fragte ich mich, warum man zum Appell gepfiffen hatte. Als wir alle angetreten waren, erlebten wir eine Überraschung. Wir mußten den Rest des Abends bis zum letzten Appell im Hof stehen. Es sollte eine Strafe sein, aber keiner wußte, warum wir bestraft wurden, denn uns wurde nichts gesagt. Den meisten stank dies, aber mir war an diesem Abend alles scheißegal. Nach dem letzten Appell durften wir abtreten und in unsere Zimmer gehen. Die anderen fluchten wie die Rohrspatzen und schworen, den Typen umzubringen, wenn er noch einmal zurückkommen sollte.
    Aber weder ihn noch Jimmy sah ich jemals wieder, denn sie wurden beide entlassen, wegen undiszipliniertem Verhalten.
    Als ich an diesem Abend einschlief, hatte ich die Schnauze voll von der Legion. In der Nacht wachte ich ein paarmal auf, denn ich hatte Alpträume und sah immer Jimmys verschnittenes Gesicht vor

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