Auch ein Waschbär kann sich irren
nach mir durchs Gitter und untersuchte meine Jackentasche. Als er keinen Zucker fand — ich hatte ihn heute tatsächlich vergessen! — , fing er an, ärgerlich zu murren.
Noch während ich mich mit ihm unterhielt und mich bei ihm für meine Nachlässigkeit entschuldigte, sah ich, wie sich seine Haare sträubten. Er starrte in eine bestimmte Richtung an mir vorbei und brummte leise vor sich hin. Ich wußte nur zu gut, was das bedeutete.
Ich stand vor seinem Gehege im vollen Mondschein, aber die Rückseite meines Hauses und die Eingangstür lagen im undurchdringlichen Schatten. Irgend jemand stand dort und beobachtete mich!
Während ich überlegte, was ich tun sollte, sprach ich unentwegt auf Sancho Pansa ein. Ich sagte ihm sicherlich lauter kindische Worte, aber ich wollte Zeit gewinnen. Schließlich öffnete ich die Tür, aber der Waschbär kam nicht heraus.
Der Revolver lag im Handschuhkasten meines Wagens; vielleicht konnte ich unbefangen hingehen und ihn holen? Vielleicht aber brachte die nächste Sekunde den Tod?
Je länger ich überlegte, desto unerträglicher wurde die Ungewißheit, und schließlich verlor ich die Nerven; ich konnte nichts anderes denken als: nur nicht von hinten erschossen werden!
Ich drehte mich um und ging aufs Haus zu.
Als ich aus dem Mondschein in den Schatten kam, sah ich neben der Tür die dunkle Gestalt.
»Guten Abend«, hörte ich eine männliche Stimme sagen, »ich wollte diese rührende Begrüßungsszene nicht stören.«
Ich atmete unmerklich auf. Wenn er mich hätte erschießen wollen, dann hätte er’s vorhin leichter gehabt als jetzt.
»Wollen Sie mich sprechen? Haben Sie auf mich gewartet?«
»Ich warte schon lange auf Sie«, sagte der Mann. Er wich zwei Schritte zurück, als ich näher kam, und fuhr fort:
»Ich hege keinerlei böse Absichten gegen Sie, Mr. Warner, aber es wäre mir lieb zu wissen, daß Sie sich mir gegenüber auch nicht unfair benehmen. Ich werde hier... au! Verfl... Au! Au!«
Sancho Pansa hatte sich unbemerkt herangemacht und den Mann kräftig in die Sehne über den Fersen gezwickt. Ich hob den Waschbär auf meinen Arm. Er zeigte schnaufend und brummend seine scharfen, schneeweißen Zähne.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich, »er beißt nur Leute, die er nicht leiden kann.«
Der Mann gab mir keine Antwort. Ich ging ins Haus, brachte eine meiner Spirituslampen in Schwung, und als die Diele hell erleuchtet war, trat ich wieder hinaus.
»Bitte«, sagte ich, »kommen Sie herein.«
Der Mann, der nun in den Lichtkegel trat und sich mit einem wütenden Blick auf Sancho Pansa an mir vorbeidrückte, war klein, schmächtig, schwarzhaarig und hatte dunkle Augen. Es war der Mann aus dem Flugzeug!
»Oh!« sagte ich, »Oliver Marton!«
Ich setzte den Waschbären vor die Tür, die ich dann abschloß. Marton und ich standen uns abschätzend gegenüber.
»Ich habe keine Waffe bei mir«, sagte er.
»Im Gegensatz zu neulich in Phoenix«, bemerkte ich.
Ich hob die Spirituslampe aus ihrem Halter.
»Bitte«, sagte ich, »gehen wir dort hinein.«
Ich stellte die Lampe auf den Tisch, wir setzten uns, und wieder schauten wir uns an. Plötzlich lächelte Marton.
»Ich bin gekommen«, sagte er, »um Ihnen einen Vorschlag zu machen.«
»Wissen Sie, wer Bill Nicholas umgebracht hat?« fragte ich.
»Nein. Ich war nicht dabei.«
Ich spürte, wie sich meine Muskeln spannten.
»Aber Sie wissen, daß er umgebracht wurde?«
»Das habe ich damit nicht gesagt. Ich sagte nur, ich sei nicht dabei gewesen, als er verunglückte... oder getötet wurde. Ich weiß es nicht, und ich bin froh, daß ich es nicht weiß. Es wäre auch für Sie besser, es nicht zu wissen.«
»Und was wollen Sie mir vorschlagen? Warum haben Sie auf mich geschossen?«
»Ich weiß nicht«, sagte er mit einem unschuldigen Augenaufschlag, »ich weiß wirklich nicht, wovon Sie sprechen. Ich habe noch nie in meinem Leben auf einen Menschen geschossen.«
»Aber Sie waren doch im Hotel Tucson! Man hat Sie dort ja erkannt!«
Er lachte und schien sich köstlich zu amüsieren.
»Ach Gott, Mr. Warner, was heißt denn erkannt? Waren Sie schon mal in Gerichtsverhandlungen?«
»Nicht mein Ressort.«
»Ach so«, nickte er, »dann natürlich. Aber sehen Sie mal, mit Zeugen ist das immer so eine Sache. Lassen Sie ein achtzehnjähriges blondhaariges Mädchen in einem weißen Kleid durch die Breadley Avenue gehen, und dann fragen Sie zehn Leute danach. Der eine schwört, das Mädchen sei schwarz-haarig
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