Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auch ein Waschbär kann sich irren

Auch ein Waschbär kann sich irren

Titel: Auch ein Waschbär kann sich irren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
Vom Netzwerk:
gewesen, der andere sagt, er habe es genau gesehen, daß sie weit über Dreißig war, ein Dritter wird versichern, ihr Kleid sei grasgrün gewesen. Unsere Gerichte wissen das, aber Zeugenaussagen entheben sie eigener Arbeit und der eigenen Verantwortung. Deshalb wird sich dieses System niemals ausrotten lassen. Glücklicherweise, muß ich sagen, denn auf der anderen Seite hat man natürlich genauso die Möglichkeit, den fraglichen Zeugen ein paar Dollar in die Tasche zu stecken.«
    »Was wollen Sie eigentlich von mir?«
    »Ich bin ein Menschenfreund, Mr. Warner. Ich möchte Sie aus einer Sache heraushalten, die für Sie sehr unangenehm werden wird. Außerdem, wissen Sie: Zu allen Zeiten haben die >guten Hirten< ihre Schäfchen ins trockene gebracht. Ich die meinen auch! Gewiß, hier und dort ein Geschäftchen, das laß ich mir gefallen. Aber das nimmt jetzt Formen an, die meine Bedürfnisse weit übersteigen. Ich reise noch heute nacht ab und werde irgendwo in Ruhe meinen Lebensabend genießen. Seien Sie klug, tun Sie das gleiche!«
    »Ich habe mein Schäfchen noch nicht im trockenen.«
    »Sie könnten es haben«, sagte er lebhaft. »Nehmen wir an, Sie gingen nach Chikago oder nach Boston oder an einen anderen Ort, der weit genug von hier entfernt ist: Sie würden dort einen Scheck bekommen, der Ihnen für die nächsten zwanzig Jahre ein angenehmes Leben garantiert.«
    »Von wem?«
    »Nichts zu machen«, grinste er.
    »Man hat Bill umgebracht, man hat Benjamin Rogers erschossen, warum hat man mich noch nicht ermordet? Warum ist man so großzügig zu mir?«
    »Wahrscheinlich — das sind aber nur Vermutungen — wußten die beiden mehr als Sie, und man möchte jetzt verhindern, daß noch mehr Staub aufgewirbelt wird. Schließlich mordet man nur, wenn’s gar nicht mehr anders geht. Für einen Scheck über 100 000 Dollar kommt man nicht auf den elektrischen Stuhl, wohl aber für einen Mord.«

8

    Ich schnappte nach Luft. »Das heißt also, daß ich auch umgelegt werde, wenn ich hierbleibe?«
    »Nicht unbedingt.« Oliver Marton lächelte. »Aber bei Ihrer Intelligenz müßten Sie doch damit rechnen. Sobald Sie nämlich wissen, was... äh... Ihre beiden Vorgänger wußten, dürfte es auch für Sie soweit sein. Sie sehen, ich spreche sehr offen mit Ihnen. Und wie gesagt, ich kann es mir leisten, weil ich morgen schon nicht mehr hier bin.«
    »Ich glaube«, sagte ich nachdenklich, »ich könnte mit Ihnen fertig werden. Ich könnte Sie der Polizei übergeben.«
    »Das könnten Sie zweifellos. Und was hätten Sie davon? Man würde Sie nach Beweisen fragen. Haben Sie welche?«
    Ich wußte nur zu gut, daß meine Argumente niemals ausreichen würden.
    »Sehen Sie«, fuhr er fort und zündete sich eine Zigarette na, »da ist also nichts zu machen.«
    »Aber«, sagte ich, »wenn Sie sich nun doch aus dem Geschäft zurückziehen, geben Sie mir doch einen Tip! Ihnen kann’s doch dann egal sein.«
    Er schüttelte den Kopf und schaute mich beinahe entsetzt an:
    »Wissen Sie, Mr. Warner, nach den Buchstaben des Gesetzes könnte man mir allerlei anhängen: Erpressung, Betrug, Nötigung, Hehlerei... und noch ein paar andere Sachen. Aber ich wäre selbst im einsamsten Kloster von Tibet meines Lebens nicht mehr sicher, wenn ich Ihnen auch nur ein Wort mehr sagte. Um aber nochmals auf den Kern zu kommen: Brechen Sie Ihre Zelte hier ab, lassen Sie sich woanders nieder — die Vereinigten Staaten sind ja groß genug — und nehmen Sie Ihren Scheck über 100 000 Dollar in Empfang. Glauben Sie mir, ich mein’s wirklich gut mit Ihnen.«
    »Das ist nett von Ihnen«, sagte ich, »und ich weiß nicht, womit ich mir das verdient habe. Was müßte ich tun, wenn ich beispielsweise nach Chikago ginge?«
    »Sie brauchten nur ein kleines Inserat mit Ihrer Adresse in >The News< aufzugeben. Alles andere wird dann automatisch erledigt.«
    Ich dachte nach. Ich dachte nicht darüber nach, ob ich nach Chikago gehen sollte, sondern ich überlegte mir, ob ich diesen Kerl nicht vielleicht so lange prügeln konnte, bis er mir alles sagte. Oder ich konnte ihn zum See hinunterschleppen und ihn so lange unter Wasser drücken, bis ihm die Todesangst ein Geständnis entlockte.
    Ein Geräusch am Fenster ließ Marton zusammenfahren. Ich sah die blitzschnelle Bewegung seiner rechten Hand an sein Bein. Eine kleine Pistole fiel polternd zu Boden.
    »Keine Angst, Marton«, sagte ich, »das ist nur mein Waschbär, der da draußen herumklettert. Er will nur ‘rein, das

Weitere Kostenlose Bücher