Auch keine Tränen aus Kristall
»Einige von uns haben sich gewisse Fragmente der Zivilisation bewahrt.« Ihre Stimme klang verbittert. »Wir fühlen uns Normen verpflichtet, die nicht in den offiziellen Handbüchern enthalten sind.«
»Ich glaube, ich verstehe, was du sagst.« Er glitt von der Liege und tastete nach seiner Halstasche und seiner Weste.
»Was ich damit sagen möchte, ist, dass ein guter Freund kein Kandidat für den Block des Fleischers ist.«
»So ist es keineswegs«, protestierte Ryo. »Als eine Frage der wissenschaftlichen Erweiterung des Wissens ... «
»Als eine Frage der wissenschaftlichen Erweiterung des Wissens«, unterbrach sie ihn in Terranglo, »stinkt es zum Himmel! Hast du all deine Sachen?«
Er drückte den letzten Verschluss seiner Halstasche zu. »Ich denke schon.«
»Dann wollen wir gehen.« Sie setzte sich in Richtung auf die Tür in Bewegung. Er folgte ihr automatisch, immer noch schläfrig und in zunehmendem Maße verwirrt.
»Wo gehen wir hin? Dies ist kein Planet. Ihr könnt mich auf dieser Station nur kurze Zeit verstecken.«
»Wir haben nicht die Absicht, dich auf der Station zu verstecken.«
Sie waren jetzt draußen im Korridor. Ryo dämpfte seine Wahrnehmungen, um damit einen Ausgleich für die grelle menschliche Beleuchtung zu schaffen. Luh erwartete sie, und mit ihm Elvirasanchez. Und dann waren da auch der Zweite Offizier, Taourit, der Ingenieur Alexis und jemand, den Ryo nicht als Mannschaftsangehörigen der Seeker erkannte. Insgesamt sechs. Hastig und leise wurden Grüße getauscht.
»Wir fühlen uns alle dieser Sache verpflichtet«, informierte ihn Sanchez feierlich. »Du hast dein Leben für etwas riskiert, an das du glaubtest, so glaubtest, dass du die Verurteilung durch dein ganzes Volk riskiert hast. Nun, es gibt unter uns einige wenige, die ebenfalls zu so starkem Glauben fähig sind.«
»Es wird immer Kurzsichtige unter uns geben«, erwiderte Ryo philosophisch. »Jene, die versuchen, mit ihrem Bewusstsein nach vorne zu schauen, werden oft von hinten mehr behindert als von vorne.«
»Ich weiß.« Die Kapitänin wies mit einer Geste auf ihre Begleiter. »Dies hier sind die einzigen, die zugestimmt haben.«
»Werden euch die anderen nicht verraten?«
Sanchez lächelte. »Sie sind überzeugt, dass wir alle bloß reden, aber nichts tun.« Sie blickte an ihm vorbei. »Ich glaube, Dr. Bhadravati kennst du.«
Ryo drehte sich um und war überrascht, den jungen Wissenschaftler zu sehen, der ihn so oft verhört hatte. Er hatte ihn für den am wenigsten freundlichen der drei gehalten und gestand seine Überraschung, ihn jetzt zu sehen.
»Ich bin nicht hier, weil ich glaube, dass dies nach Vernunftgründen oder im juristischen Sinne das richtige Verhalten ist«, sagte der junge Mensch, »aber moralisch weiß ich nicht, wie ich sonst handeln soll. Ich glaube, dass Sie ein Geschöpf Gottes sind, dass Sie eine Seele haben und dass das, was man vorhat, Ihnen anzutun, sowohl im Auge der Menschen als auch im Auge Gottes falsch ist. Ich weiß nicht, ob das ein Begriff ist, den Sie gelernt haben, aber bevor ich als Xenologe immatrikuliert wurde, war ich Theologie-Student. In dem, was ich heute tue, stützt mich sowohl die Bibel als auch das Rig- Veda und die Lehre Buddhas. Was ich jetzt hier tue, ist Teil meiner Reise auf dem edlen Achtfachen Pfad.«
»Ich verstehe nicht alles, was Sie sagen«, erwiderte Ryo, »aber das Ergebnis Ihrer Überzeugung ist mir willkommen. Ich glaube, Sie würden mich als Theravadisten ansehen.«
»Das lässt sich unmöglich mit dem Glauben an ... «
Sanchez trat zwischen sie und sagte zu Bhadravati: »Sie können ja später versuchen, ihn zu bekehren. Wir haben keine MonitorKameras entdeckt, aber über kurz oder lang wird sich jemand um unseren Gast kümmern wollen.« Sie eilten den Korridor hinunter. Die Station war groß, und die Seeker war in beträchtlicher Entfernung angedockt. Es war jetzt allgemeine Schlafenszeit für die Menschen.
Ich habe dies schon einmal getan, auf einer vertrauteren Welt, dachte Ryo plötzlich. Mir scheint, ich bin für alle Ewigkeit dafür bestimmt, von irgendwo zu entfliehen.
Sie rannten durch einen schmalen Versorgungstunnel, in dem die Beleuchtung gedämpft war, und Ryo war dankbar, dass ihm das grelle Licht erspart blieb. »Bis hierher und nicht weiter!«
Die Menschen, die vor Ryo rannten, kamen zum Stillstand. Er spähte an Sanchez vorbei. Ein einzelner männlicher Mensch versperrte den Korridor. Ryo erkannte den Gegenstand, den er
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