Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories

Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories

Titel: Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
daß ich den Eindruck hatte, der Schuß müßte ganz in der Nähe gefallen sein.«
    »Sie kehrten dann ins Haus zurück – auf welchem Weg?«
    »Ich stieg durch das Fenster.«
    Mit einer Drehung ihres Kopfes deutete Ruth auf das Fenster, das sich hinter ihr befand.
    »War irgend jemand hier?«
    »Nein. Aber Hugo, Susan und Miss Lingard kamen fast im selben Moment aus der Halle hier herein. Sie sprachen von Schüssen und Mord und solchen Sachen.«
    »Ich verstehe«, sagte Poirot. »Ja, ich glaube, ich begreife jetzt…«
    Ziemlich zweifelnd sagte Major Riddle: »Ja – äh – ich danke Ihnen. Im Augenblick dürfte das wohl alles sein.«
    Ruth und ihr Mann wandten sich um und verließen das Zimmer.
    »Zum Teufel noch mal…«, begann Major Riddle und schloß einigermaßen hoffnungslos: »Es wird immer schwieriger, dieser Sache auf die Spur zu kommen.«
    Poirot nickte. Er hatte den kleinen Erdklumpen aufgehoben, der von Ruths Schuh herabgefallen war, und hielt ihn nachdenklich in der Hand.
    »Es ist ähnlich wie mit dem zersplitterten Spiegel an der Wand«, sagte er. »Wie mit dem Spiegel des Toten. Jede neue Tatsache, auf die wir stoßen, zeigt uns den Toten aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus jeder nur vorstellbaren Richtung wird er widergespiegelt. Nicht mehr lange, und wir besitzen ein vollständiges Bild…«
    Er erhob sich und ließ den kleinen Erdklumpen sorgfältig in den Papierkorb fallen.
    »Eines will ich Ihnen sagen, mein Freund. Die Lösung des ganzen Geheimnisses ist der Spiegel. Gehen Sie in das Arbeitszimmer und sehen Sie selbst nach, wenn Sie mir nicht glauben.«
    Entschlossen sagte Major Riddle: »Wenn es Mord war, liegt es bei Ihnen, es auch zu beweisen. Wenn Sie mich fragen – ich behaupte nachdrücklich, daß es Selbstmord war. Ist Ihnen aufgefallen, daß das Mädchen sagte, ein früherer Verwalter hätte den alten Gervase betrogen? Ich wette, daß Lake dieses Märchen in die Welt gesetzt hat, um es für seine Zwecke auszunutzen. Wahrscheinlich hat er ein bißchen in die Kasse gegriffen, Sir Gervase hat Verdacht geschöpft und hat Sie kommen lassen, weil er nicht wußte, wie weit die Dinge zwischen Lake und Ruth inzwischen gediehen waren. Heute nachmittag hat Lake ihm dann erzählt, daß sie verheiratet wären. Das hat Gervase den Rest gegeben. Jetzt war es ›zu spät‹, um noch irgend etwas zu unternehmen. Er beschloß, mit allem Schluß zu machen. Genaugenommen war sein Verstand, der selbst zu besten Zeiten nicht allzu gut ausbalanciert war, dem nicht gewachsen. So muß es meiner Ansicht nach gewesen sein. Was haben Sie dagegen einzuwenden?«
    Poirot stand reglos in der Mitte des Zimmers.
    »Was ich dagegen einzuwenden habe? Folgendes: Gegen Ihre Theorie habe ich nichts einzuwenden – nur geht sie nicht weit genug. Es gibt bestimmte Dinge, die Sie dabei nicht berücksichtigt haben.«
    »Beispielsweise?«
    »Die Diskrepanzen in Sir Gervases Stimmung heute, das Auffinden von Colonel Burys Bleistift, die Aussage von Miss Cardwell – die sehr wichtig ist –, die Aussage von Miss Lingard über die Reihenfolge, in der die Hausbewohner zum Abendessen herunter kamen, die Stellung von Sir Gervases Stuhl, als er aufgefunden wurde, die Papiertüte, in der sich Apfelsinen befunden hatten, und schließlich der so eminent wichtige Anhaltspunkt: der zersplitterte Spiegel.«
    Major Riddle starrte ihn an.
    »Wollen Sie mir etwa weismachen, daß dieser ganze Quatsch einen Sinn ergibt?« fragte er.
    »Ich hoffe, das genau festzustellen – bis morgen.«

    Es war kurz nach dem Anbruch der Dämmerung, als Poirot am folgenden Morgen aufwachte. Man hatte ihm ein Schlafzimmer auf der Ostseite des Hauses gegeben. Nachdem er aufgestanden war, zog er den Fenstervorhang beiseite und stellte zufrieden fest, daß nicht nur die Sonne aufgegangen war, sondern daß ein herrlicher Morgen anbrach. Er begann, sich mit der üblichen peinlichen Sorgfalt anzukleiden. Nachdem er damit fertig war, hüllte er sich in einen dicken Mantel und band sich einen Schal um den Hals. Dann verließ er auf Zehenspitzen sein Zimmer und schlich durch das stille Haus bis zum Wohnzimmer. Geräuschlos öffnete er die bis zum Boden reichenden Fenster und kletterte in den Garten hinaus.
    Die Sonne stieg jetzt am Himmel hoch. Die Luft war feucht wie an jedem schönen Morgen. Hercule Poirot folgte dem mit Platten ausgelegten Weg, der um das Haus herumführte, bis er zu den Fenstern von Sir Gervases Arbeitszimmer kam. Hier blieb er stehen und

Weitere Kostenlose Bücher