Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories
hergekommen, um mir alles einmal anzusehen! Hugo hatte mir nämlich erzählt, daß es hier zuginge wie in einem Irrenhaus. Und deswegen wollte ich es mir mit eigenen Augen anschauen. Hugo, der Süße, ist zwar ein richtiger Schatz, aber Verstand hat er nicht die Spur. Außerdem war die Situation ziemlich kritisch. Keiner von uns beiden hat nämlich Geld, und der alte Sir Gervase, der Hugos einzige Hoffnung war, hatte alles darauf gesetzt, ihn mit Ruth zu verheiraten. Hugo ist ein bißchen schwach, verstehen Sie? Und deshalb bestand die Möglichkeit, daß er diesem Plan zustimmte und glaubte, sich später einmal wieder frei machen zu können.«
»Diese Idee ist Ihrer Ansicht nach nicht sehr empfehlenswert, Mademoiselle?« fragte Poirot höflich.
»Aber niemals! Immerhin bestünde doch die Möglichkeit, daß Ruth plötzlich komisch wird und eine Scheidung ablehnt oder sonst etwas. Da mache ich nicht mit. In die Kirche geht er erst, wenn ich dabei bin – vor Aufregung zitternd und mit einem Lilienstrauß im Arm.«
»Dann sind Sie also hierher gekommen, um sich alles persönlich anzusehen?«
»Ja.«
» Eh bien! « sagte Poirot.
»Na ja, und Hugo hat natürlich recht gehabt! Die ganze Familie spielt völlig verrückt! Ausgenommen Ruth, die vollkommen vernünftig zu sein scheint. Sie hat ihren eigenen Freund und hat für diese Heiratsidee genausowenig übrig wie ich.«
»Sprechen Sie jetzt von Mr. Burrows?«
»Von Burrows? Ach wo. Auf einen Schwindler wie den würde Ruth nie hereinfallen.«
»Wer war denn dann das Ziel ihrer Zuneigung?«
Susan Cardwell schwieg, griff nach einer Zigarette, zündete sie an und bemerkte: »Das fragen Sie sie vielleicht am besten selbst. Schließlich geht es mich nichts an.«
Major Riddle fragte: »Wann haben Sie Sir Gervase zum letztenmal gesehen?«
»Beim Tee.«
»Ist Ihnen an seinem Verhalten irgend etwas aufgefallen?«
Das Mädchen zuckte die Schultern.
»Nur das übliche.«
»Was taten Sie nach dem Tee?«
»Da habe ich mit Hugo Billard gespielt.«
»Sir Gervase haben Sie danach nicht mehr gesehen?«
»Nein.«
»Und was können Sie uns über den Schuß sagen?«
»Das war ziemlich komisch. Sehen Sie – ich hatte geglaubt, es hätte zum erstenmal gegongt, beeilte mich also mit dem Umziehen, stürzte aus meinem Zimmer, dachte, es gongte bereits zum zweitenmal und rannte die Treppe hinunter. Am ersten Abend war ich eine Minute zu spät gekommen, und Hugo hatte gesagt, damit hätte ich unsere Chance bei dem Alten restlos zerstört – deswegen sauste ich also nach unten. Hugo war direkt vor mir, und dann kam von irgendwoher ein ganz komischer Knall, und Hugo sagte, das wäre ein Sektkorken gewesen, aber Snell sagte nein, und meiner Ansicht nach war es auch gar nicht im Eßzimmer gewesen. Miss Lingard meinte, es wäre oben gewesen, aber dann kamen wir überein, daß es sicherlich eine Fehlzündung gewesen wäre, gingen dann langsam ins Wohnzimmer und dachten nicht mehr darüber nach.«
»Es ist Ihnen also überhaupt nicht der Gedanke gekommen, Sir Gervase könnte sich erschossen haben?« fragte Poirot.
»Aber ich bitte Sie – wer denkt denn schon an so etwas! Dem alten Herrn schien es doch einen Mordsspaß zu machen, überall das letzte Wort zu haben. Daß er so etwas tun könnte, wäre mir niemals eingefallen. Und ich kann mir auch nicht erklären, warum er es getan hat. Wahrscheinlich doch wohl, weil er verrückt war.«
»Ein unglücklicher Vorfall.«
»Sehr – besonders für Hugo und mich. Ich kann mir vorstellen, daß er Hugo nichts oder doch fast nichts vererbt hat.«
»Wer hat Ihnen das gesagt?«
»Hugo hat es vom alten Forbes.«
»Ja, Miss Cardwell…« Major Riddle schwieg einen Moment.
»Ich glaube, das ist alles. Meinen Sie, daß Miss Chevenix-Gore in der Lage sein wird, zu uns herunter zu kommen?«
»Das glaube ich schon. Ich werde ihr Bescheid sagen.«
Poirot unterbrach sie.
»Einen Moment noch, Mademoiselle. Haben Sie das hier schon irgendwann einmal gesehen?«
Er hielt ihr Colonel Burys Bleistift hin.
»Aber ja, heute nachmittag beim Bridge haben wir damit geschrieben. Ich glaube, er gehört dem alten Colonel.«
»Hat er ihn eingesteckt, als das Spiel zu Ende war?«
»Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.«
»Vielen Dank, Mademoiselle. Das war alles.«
»Schön, dann sage ich jetzt Ruth Bescheid.«
Ruth Chevenix-Gore betrat das Zimmer wie eine Königin. Ihre Farben waren lebhaft, ihr Kopf war hoch aufgerichtet. Aber ihre Augen waren,
Weitere Kostenlose Bücher