Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories
Mörder entwischte dann vermutlich durch das Schlüsselloch?« sagte Colonel Bury skeptisch. »Oder flog durch den Kamin davon?«
»Der Mörder«, sagte Poirot, »verschwand durch das Fenster. Wie, das werde ich Ihnen jetzt zeigen.«
Er wiederholte den Trick mit dem Fenster.
»Haben Sie es gesehen?« sagte er. »Auf diese Weise wurde es gemacht. Von Anfang an hielt ich es für unwahrscheinlich, daß Sir Gervase Selbstmord verübt haben sollte. Er litt an ausgesprochener Egomanie, und ein solcher Mann bringt sich nicht um.
Hinzu kamen noch andere Dinge! Offenbar hatte Sir Gervase sich kurz vor seinem Tod an diesen Schreibtisch gesetzt, das Wort SORRY auf einen Bogen gekritzelt und sich dann erschossen. Vor seiner letzten Handlung hatte er jedoch aus irgendeinem Grund die Stellung seines Stuhles verändert und ihn so gedreht, daß er mit der Seite zum Schreibtisch zeigte. Warum? Dafür mußte er doch irgendeinen Grund gehabt haben? Ich begann etwas klarer zu sehen, als ich am Fuß einer schweren Bronzefigur einen winzigen Splitter Spiegelglas entdeckte…
Ich stellte mir die Frage: Wie kommt dieser Glassplitter dorthin? Die Antwort drängte sich mir von selbst auf. Der Spiegel war zwar zerschmettert worden, aber nicht von einem Geschoß, sondern durch einen Schlag mit einer schweren Bronzefigur. Der Spiegel war vorsätzlich zerschlagen worden. Aber warum? Ich kehrte zum Schreibtisch zurück und blickte auf den Stuhl hinunter. Ja – jetzt sah ich es. Alles war völlig falsch. Kein Selbstmörder würde seinen Stuhl herumrücken, sich weit über die Armlehne beugen und sich dann erschießen. Das Ganze war arrangiert. Der Selbstmord war vorgetäuscht! Und jetzt komme ich zu einem sehr wichtigen Punkt. Zur Aussage von Miss Cardwell. Miss Cardwell sagte, sie wäre gestern abend nach unten gelaufen, weil sie geglaubt hätte, es wäre schon zum zweitenmal gegongt worden. Das bedeutet, daß sie glaubte, sie hätte den Gong bereits vorher gehört. Beachten Sie jetzt bitte, wohin das Geschoß geflogen wäre, wenn Sir Gervase in normaler Haltung am Tisch gesessen hätte, als er erschossen wurde. Da es eine gerade Linie beschreibt, wäre es bei geöffneter Tür durch den Türrahmen geflogen und hätte dann den Gong getroffen! Erkennen Sie jetzt die Wichtigkeit von Miss Cardwells Aussage? Niemand sonst hatte den Gong beim erstenmal gehört, aber da Miss Cardwells Zimmer unmittelbar über diesem hier liegt, befand sie sich in der günstigsten Lage, den Gong zu hören. Und vergessen Sie nicht, daß der Gong durch das Geschoß nur ein einziges Mal ertönte.
Es bestand damit also nicht der geringste Zweifel mehr, daß Sir Gervase sich nicht selbst erschossen hatte. Ein Toter kann nicht aufstehen, die Tür schließen, sie zusperren und sich dann in die entsprechende Position setzen! Irgend jemand anderes hatte seine Hand im Spiel, und daher war es nicht Selbstmord, sondern Mord. Irgend jemand, dessen Gegenwart von Sir Gervase hingenommen wurde, hatte neben ihm gestanden und mit ihm gesprochen. Sir Gervase hatte geschrieben – vielleicht! Der Mörder hält die Pistole an die rechte Seite seines Kopfes und drückt ab. Es ist geschehen! Also schnell an die Arbeit! Der Mörder streift sich Handschuhe über. Die Tür wird abgeschlossen, der Schlüssel wird Sir Gervase in die Tasche gesteckt. Aber angenommen, irgend jemand hat den Gong gehört? Dann wird man merken, daß die Tür bei der Abgabe des Schusses nicht geschlossen war, sondern offenstand! Also wird der Stuhl herumgedreht, die Leiche anders hingesetzt, die Finger des Toten gegen die Pistole gedrückt und der Spiegel überlegt zerschlagen. Dann verläßt der Mörder das Zimmer durch das Fenster, zieht die Flügel hinter sich zu, tritt nicht auf das Gras, sondern geht über das Blumenbeet, wo die Fußspuren später leicht beseitigt werden können, läuft um das Haus herum und klettert ins Wohnzimmer.«
Er schwieg einen Augenblick.
»Nur eine einzige Person befand sich draußen im Garten, als der Schuß fiel. Diese Person hinterließ Fußabdrücke auf dem Blumenbeet und Fingerabdrücke an der Außenseite des Fensters.«
Er näherte sich Ruth.
»Und ein Motiv gab es auch, nicht wahr? Ihr Vater hatte erfahren, daß Sie heimlich geheiratet hatten. Er bereitete die entsprechenden Maßnahmen vor, um Sie zu enterben.«
»Das ist gelogen!« Ruths Stimme klang zornig und klar.
»Nicht ein wahres Wort ist an Ihrer ganzen Geschichte! Von Anfang bis Ende ist sie erlogen!«
»Die
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