Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories
Beweise gegen Sie sind sehr eindrücklich, Madame. Es ist möglich, daß das Gericht Ihnen glaubt – genauso möglich ist es jedoch, daß es das nicht tut!«
»Sie wird vor keinem Gericht stehen!«
Die anderen fuhren herum – verblüfft. Miss Lingard war aufgesprungen. Ihr Gesicht hatte sich verändert. Sie zitterte am ganzen Körper.
»Ich war es, die ihn erschossen hat. Ich gestehe es! Ich hatte Gründe dazu. Ich – ich wollte es schon seit einiger Zeit. Monsieur Poirot hat völlig recht. Ich bin ihm hierher gefolgt. Die Pistole hatte ich schon früher aus der Schublade genommen. Ich stand neben ihm und sprach mit ihm über das Buch – und dabei habe ich ihn erschossen. Das Geschoß traf den Gong. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß es seinen Kopf einfach durchschlagen würde. Aber ich hatte keine Zeit, hinauszulaufen und es zu suchen. Ich schloß die Tür ab und steckte den Schlüssel in seine Tasche. Dann drehte ich den Stuhl herum, zerschlug den Spiegel, und nachdem ich SORRY auf einen Bogen geschrieben hatte, kletterte ich durch das Fenster und schloß es, wie Monsieur Poirot es Ihnen vorgemacht hat. Ich ging über das Blumenbeet, beseitigte jedoch die Fußabdrücke mit einer kleinen Harke, die ich dort bereitgestellt hatte. Dann lief ich zum Wohnzimmer. Ich wußte nicht, daß Ruth ebenfalls durch dieses Fenster geklettert war. Sie muß vorne um das Haus herumgegangen sein, als ich hinten herum kam. Ich mußte nämlich die Harke wieder in den Schuppen zurückbringen. Dann wartete ich im Wohnzimmer, bis ich hörte, daß jemand herunter kam und Snell gongte, und dann…«
Sie blickte Poirot an.
»Sie wissen nicht, was ich dann gemacht habe?«
»O doch. Die Tüte im Papierkorb habe ich gefunden. Das war sehr gescheit, dieser Einfall. Sie machten das, was Kinder immer so gern tun. Sie bliesen die Tüte auf und ließen sie dann zerplatzen. Der Knall war laut genug. Die Tüte warfen Sie in den Papierkorb, und dann liefen Sie in die Diele. Damit hatten Sie den Zeitpunkt des Selbstmordes festgelegt – und sich selbst ein Alibi geschaffen. Aber eine Sache machte Ihnen noch Kummer. Sie hatten noch keine Zeit gehabt, das Geschoß aufzuheben. Es mußte ganz in der Nähe des Gongs liegen. Und es war wichtig, daß es im Arbeitszimmer, in der Nähe des Spiegels, gefunden würde. Ich weiß nicht, wann Sie auf die Idee kamen, Colonel Burys Bleistift an sich zu nehmen…«
»Das war zur selben Zeit«, sagte Miss Lingard. »Wir gingen von der Halle ins Wohnzimmer. Ich war erstaunt, daß Ruth dort war. Ich merkte dann, daß sie durch das Fenster geklettert war. Gleichzeitig sah ich, daß Colonel Burys Bleistift auf dem Bridgetisch lag. Ich tat ihn unbemerkt in meine Handtasche. Sollte später jemand bemerken, wie ich das Geschoß aufhob, konnte ich immer so tun, als wäre es der Bleistift gewesen. Im Grunde war ich überzeugt, daß niemand gesehen hatte, wie ich das Geschoß aufhob. Ich ließ es dann unter den Spiegel fallen, während Sie den Toten betrachteten. Als Sie mich danach fragten, war ich sehr froh, daß ich an den Bleistift gedacht hatte.«
»Ja, das war sehr klug. Es brachte mich völlig durcheinander.«
»Außerdem befürchtete ich, daß irgend jemand den eigentlichen Schuß gehört haben könnte, obgleich ich wußte, daß alle sich zum Abendessen umzogen und die Türen ihrer Zimmer geschlossen waren. Das Personal war in seinen Räumen. Eigentlich konnte nur Miss Cardwell den Schuß gehört haben, und sie würde wahrscheinlich annehmen, daß es die Fehlzündung eines Autos gewesen war. Tatsächlich gehört hat sie dann jedoch nur den Gong. Ich dachte – ich dachte schon, alles wäre gut gegangen…«
Sehr langsam und betont sagte Mr. Forbes: »Das ist eine höchst ungewöhnliche Geschichte. Anscheinend fehlt jedes Motiv…«
Mit klarer Stimme erwiderte Miss Lingard: »Ich hatte ein Motiv…« Und heftig fügte sie hinzu: »Los! Holen Sie endlich die Polizei! Worauf warten Sie denn noch?«
Höflich sagte Poirot: »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie alle das Zimmer verlassen würden. Mr. Forbes, wenn Sie Major Riddle anrufen würden. Ich werde hier auf ihn warten.«
Langsam verließen die übrigen Anwesenden nacheinander das Zimmer. Erstaunt, verständnislos und entsetzt warfen sie verlegene Blicke auf die schlanke aufrechte Gestalt mit dem sorgfältig gescheitelten grauen Haar.
Ruth ging als letzte. Zögernd blieb sie in der Tür stehen.
»Das begreife ich einfach nicht!« Ihre Stimme klang
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