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Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories

Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories

Titel: Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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»Wenn nicht jemand bei der Gnädigen bleiben müßte, würde ich meinen Koffer packen und heute abend noch gehen. Aber ich kann sie doch nicht allein lassen, wo sie doch tot daliegt und niemand bei ihr wacht. Es steht mir nicht zu, etwas zu sagen, und ich sage ja auch nichts – aber jeder weiß Bescheid. Es ist in der ganzen Stadt rum. Und wenn Mr. Radnor nicht an den Minister schreibt, dann tut’s jemand anders. Der Doktor kann reden, was er will. Habe ich nicht mit eigenen Augen gesehen, wie der gnädige Herr heute abend die Flasche mit dem Unkrautgift vom Regal nahm? Und zuckte er nicht zusammen, als er sich umdrehte und sah, daß ich ihn beobachtete? Und der Teller mit dem Haferschleim für die Gnädige direkt daneben. Fertig zum Reintragen. Keinen Happen kriege ich mehr runter in diesem Hause. Und wenn ich vor Hunger sterben sollte!«
    »Wo wohnt der Arzt, der Mrs. Pengelley behandelt hat?«
    »Dr. Adams. Gleich um die Ecke. High Street, das zweite Haus.«
    Poirot wandte sich schnell ab. Er war sehr blaß.
    »Für ein Mädchen, das nichts sagen wollte, hat sie ziemlich viel gesagt«, bemerkte ich trocken. Poirot ballte die Fäuste.
    »Ich Idiot, Hastings! Strafbar blöde bin ich gewesen! Herumgeprotzt habe ich mit meinen kleinen grauen Zellen, und nun habe ich ein Menschenleben verloren, einen Menschen, der zu mir kam, um sich von mir retten zu lassen. Ich habe nicht im Traum daran gedacht, daß so schnell etwas passieren würde. Möge Gott mir verzeihen, aber ich habe eigentlich nicht geglaubt, daß überhaupt etwas passieren würde. Ihre Geschichte erschien mir etwas gekünstelt. Na, da sind wir ja schon. Wollen mal hören, was der Doktor zu sagen hat.«
    Dr. Adams war der typische Landarzt, wie er im Buche steht. Er empfing uns höflich genug. Doch als wir den Zweck unseres Besuches andeuteten, nahm sein rotes Gesicht eine violette Tönung an.
    »Verdammter Unsinn! Verdammter Unsinn! Das ganze Geschwätz. Habe ich nicht den Fall behandelt? Magenentzündung war’s – weiter nichts! Diese Stadt ist ein regelrechtes Klatschnest. Ein paar alte Lästermäuler stecken die Köpfe zusammen, und schon ist der Kladderadatsch da! Sie lesen dauernd diese Sensationsblätter, und schließlich hilft alles nichts, sie müssen auch in ihrer eigenen Stadt einen Mord haben! Sie sehen eine Flasche mit Unkrautgift auf dem Regal stehen – und hoppla – schon geht die Phantasie mit ihnen durch. Ich kenne Edward Pengelley – der würde nicht einmal des Teufels Großmutter vergiften. Und warum sollte er seine Frau töten? Können Sie mir das sagen?«
    »Eins ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, monsieur le docteur. «
    Und Poirot schilderte in großen Umrissen Mrs. Pengelleys Besuch bei uns. Niemand hätte erstaunter sein können als Dr. Adams. Die Augen traten ihm förmlich aus dem Kopf.
    »Du meine Güte!« rief er aus. »Die arme Frau muß wohl wahnsinnig gewesen sein. Warum hat sie nicht mit mir gesprochen? Das wäre doch richtiger gewesen.«
    »Um sich wegen ihrer Furcht auslachen zu lassen?«
    »Durchaus nicht, durchaus nicht. Es kann wohl niemand von mir behaupten, daß ich voreingenommen sei.«
    Poirot blickte ihn lächelnd an. Der Arzt war offenbar beunruhigter, als er zugeben wollte. Als wir das Haus verließen, brach Poirot in ein Gelächter aus.
    »Der ist so störrisch wie ein Esel. Wenn er einmal gesagt hat, es ist Magenentzündung, dann ist und bleibt es Magenentzündung, basta! Und doch haben wir seine Seelenruhe etwas gestört.«
    »Was machen wir nun?«
    »Gehen zurück zum Hotel und verbringen eine Schreckensnacht in Ihren englischen Landbetten, mon ami. Ein Folterinstrument – das billige englische Bett!«
    »Und morgen?«
    » Rien à faire. Wir müssen nach London zurückfahren und die weitere Entwicklung abwarten.«
    »Das ist aber ziemlich fade«, sagte ich enttäuscht. »Und wenn keine weitere Entwicklung folgt?«
    »Seien Sie unbesorgt. Unser alter Doktor kann so viele Totenscheine ausstellen, wie er will. Er kann aber nicht mehrere hundert schnatternde Zungen zum Schweigen bringen. Und wie sie schnattern werden! Das kann ich Ihnen versichern.«
    Unser Zug fuhr am nächsten Morgen um elf Uhr ab. Bevor wir zum Bahnhof gingen, äußerte Poirot den Wunsch, Miss Freda Stanton, die von der Verstorbenen erwähnte Nichte, zu sehen. Wir fanden das Haus, in dem sie wohnte, ohne weiteres. Bei ihr im Zimmer war ein großer, dunkelhaariger junger Mann, den sie uns etwas verlegen als Mr. Jacob Radnor

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