Auch Santiago hatte einen Hund
um seine Freundin Jessie, die schöne Collie-Hündin des Wirtes, zu begrüßen. Da er das immer tat, sie seine Freundschaft erwiderte und ich sehr großen Wert auf einen freundlichen, offenen Hund legte - und das werden sie halt nur, wenn man sie auch miteinander kommunizieren lässt -, ließ ich ihn natürlich gewähren. Nur dass die Begrüßung dieses Mal sehr intim ausfiel, denn Jessie war, wie sich in der Folge zeigen sollte, läufig! Der Gastgarten war an diesem schönen Spätsommernachmittag voll, und so paarten sich die beiden ungeniert vor großem Publikum, während ich, möglichst unschuldig drein- und taktvoll wegschauend, in einigen Metern Entfernung wartete, bis der Zeugungsakt abgeschlossen war. Denn mit Gewalt trennen wollte ich sie auf keinen Fall. Soll man auch nicht. Nachdem auch Jessies Besitzer, der Wirt, seinen Segen zu dieser Verbindung gegeben hatte, mussten wir nur mehr auf deren Ergebnis warten. Ajiz zum ersten Mal Vater! Die Mischlinge wurden wunderschön...
16
DIENSTAG, 6. JULI
MAULÉON - BRESSUIRE
Der Tag beginnt mit Frust und Ärger. Der Pfarrer wollte mich um halb acht zum gemeinsamen Frühstück holen, ich bin pünktlich bereit, Kartons verstaut, Zähne geputzt, Rucksack gepackt. Als er nach einer Weile immer noch nicht aufgetaucht ist, wage ich es, an seiner Wohnungstür zu läuten und, da sich darauf immer noch nichts rührt (ist die Klingel etwa kaputt?), zu klopfen, mit parallel zu meinem Ärger steigender Lautstärke, bis aus dem Klopfen fast ein Hämmern wird. Nach insgesamt einer halben Stunde vergeblichen Wartens resigniere ich und packe den Kocher aus, um mir halt selbst das Frühstück zuzubereiten. Da erscheint er verschlafen in der Tür und fragt mich unschuldig, ob ich Kaffee möchte. Ich bin sicher, er hat seine Einladung vom Vorabend einfach vergessen, jedenfalls tut er jetzt so, als wäre nichts. Ich vermute eher, dass er sich spätestens bei meinem Anblick erinnert hat, es aber nicht schafft, sich zu entschuldigen. Wenigstens kann ich duschen. Zum Frühstück lässt er mich allein (eh besser!). Außerdem gibt es nur lauwarmen, aufgewärmten Kaffee mit altem, trockenem Brot. (Ich hoffe, ich erscheine nicht unverschämt und undankbar. Dass man verschläft und/oder vergisst, kommt immer wieder vor, das ist weiter nicht tragisch. Aber die Falschheit und Gleichgültigkeit nachher haben mich doch geärgert.)
Kaum münde ich kurz nach MAULÉON auf die uralte, von Hecken und Eichen gesäumte Voie Royale ein, fällt der ganze Arger aber von mir ab wie eine eingetrocknete Lehmkruste. Der Morgen ist so wunderbar! Die Sonne lacht von Himmel, frische, klare Luft durchströmt mich, meine Füße haben sich prächtig erholt, vor mir liegt das fruchtbare Land, das mir ganz allein gehört! In solchen Momenten könnte ich Bäume ausreißen, fühle ich mich, als könnte ich ewig so weitergehen. Wie so oft sind dies die schönsten Stunden des Tages, und in diesem - fast mit Trance vergleichbaren - Zustand schaffe ich immer einen guten Teil des Tagessolls. Was mir später zugute kommt, denn so ein Zustand hält nicht den ganzen Tag an, ist ja gar nicht möglich. So ist es auch heute wieder. Aus der grasbewachsenen, Fußsohlen schonenden und überhaupt herrlich zu begehenden Voie Royale, der Königsstraße des Mittelalters von NANTES nach POITIERS, werden kleine, wenigstens kaum befahrene Asphaltstraßen; Wolken ziehen wieder auf, es wird schwül und heiß, und die zwar leichten, aber nicht enden wollenden Steigungen gehen mir ganz schön in die Beine. Sogar das Land um mich kommt mir auf einmal öd und eintönig vor. Wo ich am Vormittag noch Bäume ausreißen wollte, ist jetzt mein einziger Wunsch, mich unter einen zu legen. Es ist dies die einsamste Zeit des Tages, niemand lenkt mich ab, stundenlang kann ich ungehindert tagträumen, meditieren, nachdenken. Heute lasse ich die Beziehung zu einigen langjährigen Freunden und Bekannten Revue passieren, die ich schon seit geraumer Zeit als eher stagnierend und wenig befriedigend empfinde, die eigentlich nur mehr von meiner Energie und Initiative zehren, schon lange nicht mehr auf Gegenseitigkeit beruhen. Ich beschließe, nach meiner Heimkehr Klarheit in diese Beziehungen zu bringen und aufzuhören, ewig alles mitschleppen zu wollen. Es wird ja immer mehr.
So ist der Nachmittag vergangen, und mit ihm auch die Wolken, der Wind und die Regenschauer, die mich zeitweise fürchten ließen, das schon seit Tagen unentschlossen schwankende
Weitere Kostenlose Bücher