Auch Santiago hatte einen Hund
dann bei unseren Gästen im Bildungshaus, die manchmal sogar ihre Sitzungen unterbrachen, um ihm zu lauschen.
4. Kapitel
Vor Poitiers
Prüfungen und kleine Wunder
17
MITTWOCH, 7. JULI
BRESSUIRE - AMAILLOUX
In der Früh wecken mich vereinzelte Regentropfen auf dem Zeltdach, und ein Blick zum tief verhangenen Himmel zeigt mir, dass für heute noch Schlimmeres zu erwarten ist. Also waren das gestern die Vorboten des Schlechtwetters, von wegen schwankend! Gefrühstückt wird hastig, aber nicht stillos, denn vom Bäcker, der jeden Morgen zum Campingplatz kommt, habe ich ein pain au chocolat erstanden, ein Weckerl aus flockigem Blätterteig, in das ein Stück Schokolade eingebacken ist. Der Rucksack ist schnell gepackt, aber noch bevor ich das Zelt Zusammenlegen kann, geht es richtig los. Das tropfnasse, jetzt mindestens ein Kilo schwerere Zelt wird verstaut, der Regenponcho -mit den üblichen Komplikationen und Verrenkungen - übergestülpt, zum ersten Mal seit dem Unwetter beim Start übrigens, und weiter geht’s.
Wilde Güsse, begleitet von orkanartigen Windböen und meinen Flüchen, stellen meine Widerstandskraft und Motivation (warum tu ich mir das eigentlich an?) schwer auf die Probe. Mehrmals muss ich mich unterstellen, aber schließlich lässt das Unwetter doch etwas nach, und manchmal bemerke ich durch ein Loch in der Wolkendecke, dass es die Sonne wider alle Erwartung doch noch gibt. Langsam wird es Zeit für die Mittagsrast, doch wo finde ich ein trockenes Plätzchen, fällt heute meine Siesta ins Wasser? Da geschieht das erste kleine Wunder. In CHICHÉ schaue ich, ob vielleicht die Kirche offen ist - einen geeigneteren Ort für Pilger gibt es ja nicht. Es ist zwar nicht damit zu rechnen -nach meiner Erfahrung sind gerade die Kirchen in den kleinen Ortschaften in Frankreich fast immer verschlossen -, aber probieren kostet ja nichts. Und siehe da, sie ist offen - und menschenleer! Die Taufkapelle, etwas abseits, klein und heimelig, bietet sich als Rastplatz geradezu an, noch dazu, wo ich an der Wand unter einem Fresko einen Spruch entdecke, der für mich bestimmt scheint und meine Entscheidung theologisch untermauert:
„Die Kirche ist die Arche, die Zuflucht vor der Sintflut.“
Beruhigt strecke ich mich daraufhin auf einer Kirchenbank aus und erhole mich bei einem erquickenden Schläfchen, in absoluter Ruhe und geschützt vor Wind und Wetter durch den hl. Martin, den Patron der Kirche.
Am Nachmittag sind es zwar nur zwei Stunden bis zu meinem Tagesziel AMAILLOUX, aber die haben’s in sich. Der leichte Schmerz, den ich schon am Vormittag in der rechten Achillessehne verspürt habe, wird fast unerträglich. Zudem bläst mir sturmartiger Wind ins Gesicht, der, zusammen mit dem Schmerz, jede kleine Steigung der Straße, die man mit dem Auto gar nicht wahrnimmt, zur endlos scheinenden Sisyphos-Qual werden lässt. Mit zusammengebissenen Zähnen, humpelnd und mich auf den Pilgerstab stützend (gesegnet sei er!), kämpfe ich mich voran, eigentlich nur getragen von der Gewissheit, bei den Franziskanerinnen in AMAILLOUX gastliche Aufnahme zu finden, in guter Gesellschaft zu Abend zu essen und mein schon bis zum Knie herauf höllisch schmerzendes Bein auszuruhen und zu pflegen.
Vor einem Jahr hatte ich dort gefragt, ob sie Pilger aufnähmen und ob ich ihre Adresse in meinem Buch anführen könne. Mein Optimismus begründet sich auf ihre positive Antwort von damals. Doch die Reaktion der resoluten, sympathischen Nonne, die auf mein Klingeln hin öffnet, ist wie eine kalte Dusche: Nein, hier könnten Pilger nicht übernachten, sie hätten ja gar keinen Platz für sie. Nein, hier wurde nie etwas zugesagt, wer hätte mir denn so was versprochen, das sei undenkbar, das müsse sie als Oberin doch wissen, es täte ihr sehr leid, aber ich müsse schon verstehen.
Nein, ich verstehe gar nichts mehr. Ich beschreibe die Nonne, mit der ich vor einem Jahr gesprochen habe - kurzes, graues Haar, keine Haube, Shorts, T-Shirt. Nein, von der habe sie nie etwas gehört.
Ich bin am Ende meines Lateins, ratlos und verzweifelt, was dann doch Schwester Françoises Herz erweicht. Sie telefoniert kurz mit dem Gemeindesekretär und berichtet mir, ich könne in einem Zimmer übernachten, das die Gemeinde an sich als Übergangslösung für in Not geratene Gemeindemitglieder bereithält. Sie besteht auch darauf, die zehn Euro Miete aus eigener Tasche zu bezahlen sowie die geforderte Kaution zu hinterlegen. Langsam
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