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Auch Santiago hatte einen Hund

Auch Santiago hatte einen Hund

Titel: Auch Santiago hatte einen Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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schon seit Vormittag auf dich!“
    Ein riesiger Stein plumpste mir vom Herzen, Erleichterung, Freude und auch ein Gefühl der tiefen Zuneigung zu diesem verflixten Tausendsassa durchströmten mich. Ajiz musste irgendwann in der Nacht zum Haus zurückgekommen sein und, wie er es gewohnt war, durch Bellen vor der Tür und vor dem Küchenfenster (dort hatte ich seine Spuren gesehen) Einlass begehrt haben. Da das Haus jedoch dunkel und verschlossen geblieben war - ich schlief im zweiten Stock bei geschlossenem Fenster musste er, in seiner Logik, daraus gefolgert haben, dass ich ohne ihn nach Innsbruck gefahren war. Und dorthin war er mir gefolgt! Er musste die mehr als dreißig Kilometer hinaus durchs Sellraintal, mehrere Ortschaften durchquerend, zuletzt auch die Großstadt Innsbruck, ohne jegliches Zögern und zielstrebig zurückgelegt haben, sonst wäre er nicht schon am Vormittag in Innsbruck vor dem verschlossenen Gartentor gestanden, wo ihn meine Freunde dann entdeckt hatten. Wer weiß, wie lange er dort schon gewartet hatte. Wir hatten die Strecke niemals zu Fuß zurückgelegt, immer nur mit dem Auto, er hatte sich anders orientiert, keine Ahnung wie. Seine nächtliche Odyssee gehört seither zum Legendenschatz der karelischen Bärenhundegemeinschaft in Tirol und seine Orientierungsleistung ist nach wie vor regionale Bestmarke, an der sich schon viele Herausforderer die Zähne ausgebissen haben.
     
    18
    DONNERSTAG, 8. JULI
    AMAILLOUX - CHAPELLE-BERTRAND
     
    In der Nacht habe ich wenig geschlafen; voller Sorge um mein schmerzendes Bein bin ich lange wachgelegen, während mir die schwärzesten Gedanken durch den Kopf gingen: „Ich kann nicht mehr weiter, ich muss zum Arzt, der rät mir strikt vom Weitergehen ab, ich gebe auf und fahre frustriert heim.“
    Das erschöpfte Erwachen am grau verhangenen Morgen - draußen schüttet es - verstärkt noch meine düstere Stimmung. Soll ich wirklich weitergehen? Aber da beginnt die Kraft meines Beschützers zu wirken. Schwester Françoise taucht auf und lädt mich zum Frühstück ein. In der warmen Stube, bei einem großen Bol (Schale) café au lait und einem frischen croissant tauen meine Lebensgeister wieder auf, und für meine überanstrengte Achillessehne gibt sie mir eine Salbe und eine Bandage. Unwahrscheinlich nett und hilfsbereit ist sie, fast als wolle sie etwas wieder gutmachen. Aber was? Und in diesem Augenblick erkenne ich sie. Mit ihr habe ich letztes Jahr gesprochen, sie hat mir versichert, dass Pilger im Kloster übernachten könnten. Gestern war sie in Ordenstracht, da habe ich sie nicht erkannt, aber heute, wo ich ihr am Frühstückstisch länger gegenübersitze, ja, sie muss es sein. Außerdem kann nur sie, die Oberin, damals die Zusage gemacht haben, denn jede andere hätte vorher sie fragen müssen. Wahrscheinlich hat sie mich wiedererkannt, sich an ihre Zusage erinnert - und hofft jetzt inbrünstig, dass ich sie nicht erkenne. Denn dies hieße, dass ich sie bei einer Lüge ertappt habe, sie, eine Nonne! Natürlich sage ich nichts und genieße ihre -jetzt verständlichen - Wiedergutmachungsbemühungen. Nicht auszuschließen, dass sie ahnt, dass ich sie erkannt habe, und sie mir ihre Dankbarkeit zeigt, weil ich sie nicht bloßstelle. Wie auch immer, es ist eine einmalige Situation. Françoise erlaubt mir vor meinem Aufbruch noch, bei den Zimmervermietern in CHAPELLE-BERTRAND anzurufen um herauszufinden, ob jetzt ein Bett frei sei. Denn als ich vor zwei Tagen zum ersten Mal anrief, war alles ausgebucht gewesen; aber sie hatten, als
     
    ich mich als Jakobspilger vorstellte, versprochen, auf jeden Fall eine Lösung für mich zu finden. Ja, ich kann kommen. Bei schönem Wetter darf ich mein Zelt im Garten aufstellen, bei schlechtem Wetter - und danach sieht’s aus - werden sie schon eine Gäste-Ritze im Haus finden. Jeder Gedanke ans Aufgeben ist damit in weite Ferne gerückt; außerdem fühle ich mich mit Salbe und Bandage gut gerüstet, der Schmerz ist auch nicht mehr so arg. Da soll jemand noch behaupten, die Psyche hätte keinen Einfluss auf unser physisches Befinden!

    Die Steinbrücke von Sunay
     
    Der Abschied von Schwester Françoise fällt sehr herzlich aus, von nun an verbindet uns ja ein besonderes Band, eine Art unausgesprochener Komplizenschaft. Zum Schluss verspricht sie mir (und ich sehe ihr an, sie meint es diesmal ernst), dass sie sich um Übernachtungsplätze für Pilger bemühen werde.
    Das Wetter hat sich meiner jetzt unvergleichlich

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