Auch Santiago hatte einen Hund
hatte anscheinend keine „Lobby“, denn der offizielle Weg führt heute in mehreren Kilometern Entfernung an ihr vorbei. Sicher, mein gestriges Abenteuer war kein „Pilgern light“, aber bei entsprechender Beschilderung und Gestaltung wäre der Weg über die Kommende ein Höhepunkt auf der VIA LIMOVICENSIS.) Da werde ich halt wieder meinen eigenen Weg suchen müssen.
Beim Verlassen von ROQUEFORT habe ich noch ein Erlebnis, klein, aber bezeichnend für die Magie des Pilgerweges, unvergesslich und ein gutes Omen für diesen, meinen letzten Pilgertag: Als ich das Obst bezahlen will, das ich als Vitaminspender für unterwegs mitnehmen möchte, weigert sich die Ladenbesitzerin, Geld von mir anzunehmen, weil ich Pilger bin.
Am Anfang benütze ich den markierten Weg, er führt ziemlich direkt über Sand- und Waldwege nach Süden. (Wir sind ja immer noch in den LANDES, erst südlich von MONT-DE-MARSAN hört der Sandboden auf.) Doch nach etwa zwei Stunden ist Eigeninitiative gefragt, wenn ich nicht die Schleifen mitmachen will, welche die Touristiker dem Jakobspilger verordnen. Da trifft es sich gut, dass ich mich in ROQUEFORT schon schlau gemacht habe und deshalb weiß, dass die Bahnlinie ROQUEFORT - MONT-DE-MARSAN zwar noch besteht, aber kein Zug mehr fährt. (Demnächst sollen Schienen und Schwellen überhaupt entfernt werden.) Ich kann auf dem Bahndamm also gefahrlos und auf direktestem Weg nach MONT-DE-MARSAN spazieren, Erfahrung habe ich damit ja schon genug gesammelt. Das mag zwar nicht authentisch sein, aber nachdem aus dem Pilgerweg die extrem stark befahrene Nationalstraße N 932 geworden ist (bis ins 19. Jahrhundert die berühmte Grande Route d’Espagne), ist meine Entscheidung klar. Und damit der Bußgedanke doch noch zu seinem Recht kommt - für viele ist die Buße ja das zentrale Element beim Pilgern ist der Abstand der Schwellen voneinander kleiner als meine Schrittlänge. Was ein freies, flottes Ausschreiten unmöglich macht und einen unregelmäßigen, fast humpelnden, jedenfalls sehr unbequemen Gang zur Folge hat. Vielleicht werde ich noch zum Begründer eines neuen Pilger-Trends, des so genannten „Schwellen-Pilgerns“?
So gelange ich nach einer seltsamen, sehr einsamen, dafür aber kreuzungsfreien Wanderung wohlbehalten, und doch wieder rechtschaffen müde (die Hitze ist ja nicht geringer geworden), um fünf Uhr ans Ziel. Manu hat auf meinen Anruf gewartet, er holt mich ab. Ein Wahnsinn, der Bursche: Er nimmt mir zuliebe fast 100 Kilometer Fahrt auf sich! Bis er kommt, bleibt mir genügend Zeit für ein Bier am Ufer der Midouze und eine sanfte Rückkehr in die Zivilisation mittels ausgiebiger Lektüre der Tageszeitung. Erstaunlich, wie unwichtig das Weltgeschehen für mich in den letzten fünf Wochen geworden ist. Die Frage, was im Leben eines Menschen wirklich wesentlich ist, stellt sich in solchen Momenten besonders eindringlich.
Auf der Heimfahrt erfahre ich, dass der Champagner schon kalt gestellt ist...
Abschied von der Bretagne
Vor nicht einmal einem Jahr im Oktober 2003 war Ajiz noch mit mir auf dem bretonischen Jakobsweg unterwegs, den ich zur Zeit nun schon seit fünf Wochen allein, ohne ihn beschreite. An zwölf wunderschönen Oktobertagen erforschte ich mit ihm die Strecke von Nantes nach Poitiers, zum ersten Mal nicht ausschließlich zu Fuß, sondern auch mit dem Auto. Ajiz hätte es anders einfach nicht mehr geschafft. Da ich vorher und nachher bei Elisabeth und Thierry in der Süd-Bretagne jeweils ein paar Tage Urlaub machen wollte, hatte ich Ajiz natürlich mitgenommen. Ich wollte ihn am Ende seines Lebens einerseits nicht so lange allein lassen, andererseits ergab sich so für meine Freunde und ihre Kinder die Möglichkeit, von ihm Abschied zu nehmen: Die ganze Familie mochte Ajiz sehr gern und sie hätten es mir nicht verziehen, wenn sie ihn nicht noch ein letztes Mal gesehen hätten.
Die lange Fahrt in die Bretagne war kein Problem, da waren wir schon seit Jahren ein eingespieltes Team - abgesehen von einigen groben Schnitzern meinerseits aber wie sollte ich es schaffen, die etwa 180 km von Nantes nach Poitiers zu erforschen, wenn Ajiz mit seiner fortschreitenden Arthrose maximal eine halbe Stunde gehen konnte? Bei meinen Freunden in der Bretagne konnte ich ihn nicht lassen, denn unter der Woche arbeiteten sie in Paris, und andere Leute, bei denen ich ihn ruhigen Gewissens hätte lassen können, kannten wir nicht gut genug. Also musste ich mir eine Lösung einfallen
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