Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auch Santiago hatte einen Hund

Auch Santiago hatte einen Hund

Titel: Auch Santiago hatte einen Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
Vom Netzwerk:
klanglos vonstatten gehen dürfte, vor allem nicht an einem Ort wie MONT-DE-MARSAN, der kaum Bezug zum Jakobsweg und auch wenig Symbolkraft hat. So war denn die Entscheidung, die fehlenden fünf Tage bis zum Fuß der Pyrenäen jetzt im Herbst nachzuholen, nur logische Konsequenz. Und da bin ich - wieder unterwegs.
    Übernachten konnte ich in MONT-DE-MARSAN bei Olga, einer Studienkollegin aus meiner Zeit in Montpellier. Sie stammt aus Panama, hat einen Franzosen geheiratet und ist mit ihrem Mann erst vor wenigen Monaten hierher übersiedelt. Ich kann auch mein Auto bei ihnen abstellen und werde nachher, wenn ich es wieder abhole, auf Olgas eindringliche Aufforderung hin sicher noch ein paar Tage bei ihnen verbringen. Mein Basislager wurde sozusagen von LA RÉOLE weiter nach Süden verlegt. Olga fehlen die Sprache, die Wärme, die Freunde ihrer Heimat, sie vermisst als gestandene Revolutionärin die hitzigen Diskussionen über Politik und Gesellschaft und genießt es - ebenso wie ich -, in stundenlangen Gesprächen auf Spanisch etwas von dieser Atmosphäre in die nebligen und nasskalten LANDES zu holen, „daheim“ zu sein. Ihre Gastfreundschaft ist überwältigend, ich kann mich da auf etwas gefasst machen, wenn ich in fünf Tagen wiederkomme.
    Olga hat mich im Auto an den Stadtrand gebracht und mich dann mit einer festen Umarmung in den grauverhangenen Novembermorgen entlassen. Jetzt am Vormittag lichtet sich der Nebel, aber der Tag bleibt düster, kalt, unwirtlich. Welch ein Unterschied zum Sommer! Da musste ich spätestens nach der Mittagspause der Hitze Tribut zollen, während ich jetzt im Spätherbst den ganzen Tag über ein flottes Tempo beibehalten kann. Dafür sind die Tage viel kürzer, trödeln ist also nicht drin, schon gar nicht heute. Denn bis zur nächsten Pilgerherberge, in HAGETMAU, sind es an die 34 Kilometer. Übernachten im Freien ist ausgeschlossen, Biwakzelt habe ich keines mit - schon allein der Gedanke daran lässt mich frösteln. Die kleinen Nebenstraßen, auf denen der Weg heute zu 90% verläuft, lassen ebenfalls ein höheres Tempo zu, für das zu kaum etwas anderem einladende Wetter gerade richtig. Mein Zielpflock steckt in HAGETMAU, den will/muss ich heute erreichen, alles andere ist zweitrangig.
    Für den Höhepunkt des Tages, die Benediktinerabtei von SAINT-SEVER, im 1 2. Jahrhundert auf einem Hügel oberhalb des Übergangs über den Fluss Adour errichtet (siehe auch La RÉOLE!), nehme ich mir aber dennoch Zeit, das muss sein, ich bin ja immer noch in erster Linie ein Pilger und keine Gehmaschine. Der ganze Ort hat eine Ausstrahlung, die ich unbedingt etwas länger genießen möchte. In der Kathedrale bin ich ganz allein, niemand stört mich beim Gebet für die heimwehkranke Olga. Kurz nach SAINT-SEVER auf einem der wenigen nichtasphaltierten Abschnitte der heutigen Etappe lacht mir dann das Glück - die Sonne - just in dem Moment, als ich beschließe, am Fuß einer großen Eiche Mittagsrast zu machen. So komme ich sogar im Spätherbst in den Genuss einer kurzen Siesta im Gras! Die spontane Entscheidung für den verlängerten Aufenthalt in SAINT-SEVER erweist sich im Nachhinein also als glücklicher Zufall/Eingebung/Wink von oben, egal, auf jeden Fall als goldrichtig. Der Nachmittag ist Pilgerroutine - ausschließlich auf Asphalt bergauf, bergab. In solchen Momenten bin ich dem Zerrbild eines Pilgers, der Gehmaschine, am ähnlichsten. Diesbezüglicher Höhe- bzw. Tiefpunkt ist am Ende des Tages die kilometerlange schnurgerade Straße hinein in die Stadt; es ist bereits völlig dunkel. Noch rechtzeitig vor Büroschluss - auch deshalb die Gehmaschine - erreiche ich das Syndicat d’lnitiative (Tourismusbüro), nur um zu erfahren, dass die Pilgerherberge seit Anfang November geschlossen ist. Aber man verweist mich an Madame Bats, die das ganze Jahr über Zimmer vermietet und Pilgern einen Sonderpreis macht. Ihr Haus liegt am südlichen Stadtrand direkt am Jakobsweg. Und wieder einmal fügt sich alles perfekt, mir bleibt nur, es dankbar anzunehmen. Pierrette und ihr Mann, ein älteres Ehepaar, warmherzig und gastfreundlich, nehmen schon seit 14 Jahren Pilger auf und sind wichtige Träger der Pilgertradition in der Region. Entsprechend viel Interessantes haben sie mir da zu erzählen, beim Abendessen geht uns der Gesprächsstoff nicht aus. (Zum Essen haben sie mich eingeladen, indem sie wortlos einfach ein drittes Gedeck aufdeckten.) Besonders Pierrette überrascht mich mit ihren gescheiten,

Weitere Kostenlose Bücher