Auch sonntags Sprechstunde
suchte sich doch jeder von uns die Patienten aus, die ihm persönlich mehr zusagten. Wir hatten schon bald entdeckt, daß eine solche Auswahl vor allem den Patienten zugute kam, da nicht nur der Patient Vertrauen zum Arzt haben muß, sondern auch der Arzt seinem Patienten Sympathie entgegenbringen muß, ein Punkt, der häufig mißachtet wird. Robin und ich hatten verschiedene Arbeitsmethoden und forderten die Patienten auf, nach demjenigen von uns zu verlangen, der ihnen mehr zusagte. Manche waren unfähig, ihre Beschwerden kurz und bündig vorzutragen, sie wollten einen netten kleinen Schwatz, der meistens folgendermaßen begann: »Es war letzten Dienstag, nein Mittwoch, ja, stimmt, es war Mittwoch, weil unser Harry - Sie wissen schon, den wir beinahe einmal durch Keuchhusten verloren hätten -, an diesem Mittwoch... « Diese Patienten verlangten für gewöhnlich Robins Besuch. Meine eigenen Patienten dagegen erklärten ihre Symptome und erhielten eine möglichst umgehende Diagnose; sie befolgten meine Ratschläge, ohne daß ich sie mehrfach wiederholen mußte, und gingen wieder an ihre Arbeit. Die Woche war besonders anstrengend, in der ich Robins Patienten mit betreuen mußte, unter denen sich einige befanden, für deren Behandlung ich temperamentmäßig ungeeignet war. Üblicherweise erklärte ich nach der Diagnose die Anwendung der Medikamente, für die ich ein Rezept ausstellte. Doch nun wurden kostbare weitere Minuten auf folgende Weise verschwendet:
»Nun, Sie sagten eben, zweimal am Tag die Salbe und die Arznei dreimal täglich, nicht wahr, Herr Doktor?«
»Nein. Die Arznei zweimal täglich und die Salbe dreimal täglich. Im übrigen schreibt der Apotheker die Gebrauchsanweisung noch genau darauf.«
»Und meinen Sie, daß die Salbe nützen wird?«
»Wenn nicht, dann kommen Sie nach einer Woche wieder.«
»Sie haben hoffentlich nicht die Arznei verschrieben, die damals diesen Ausschlag verursachte, als er Mandelentzündung hatte!«
»Nein, Sie müssen sich keine Sorgen machen. Es gibt keine Nebenwirkungen.«
»Sollte ich vielleicht etwas darauf tun?«
»Was drauftun?«
»Nun, auf die Salbe, nach dem Einreiben.«
»Das ist nicht notwendig.«
»Aber manchmal gibt es Flecken in der Bettwäsche.«
»Die Salbe hinterläßt keine Flecken.«
»Und dann kriegt man sie nicht mehr ’raus. Und was ist mit der Arznei, Herr Doktor?«
»Mit der Arznei?«
»Soll ich sie vor oder nach der Mahlzeit einnehmen?«
»Das ist gleichgültig. Sie können sie einnehmen, wann Sie wollen.«
»Aber manchmal macht sie appetitlos, und wenn man sie nach den Mahlzeiten einnimmt, kommt alles wieder heraus... «
Und so weiter ad nauseam. Robin, dem Geduldigen, machte das nichts aus, sich ein dutzendmal zu wiederholen. Ich, der Ungeduldige, war geneigt, mich über diese unnötige Fragerei zu ärgern, und damit regte ich wiederum die Patienten auf.
Die Patientin, die ich in Robins Vertretung besuchen mußte, war die reizende Frau eines Milchhändlers, mit fünf Kindern gesegnet, die schon seit Jahren unsere Patientin war. Für gewöhnlich ging sie zu Robin, weil er ihre Krampfadern verödet hatte, eine kleine Operation, die Robin meisterhaft beherrschte und die er für gewöhnlich ausführte, indem er die Patientinnen auf dem Fenstersims Platz nehmen ließ.
Nach einer Notiz von Miss Nisbet litt Mrs. Finch, eine Frau von ungefähr fünfzig, an starkem Kopfweh und unter schlechtem Allgemeinbefinden. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, daß sie das »schlechte Allgemeinbefinden« nicht ohne Anlaß hinzugefügt hatte, denn sie war eher der Typ des Patienten, der auch dann noch in die Sprechstunde kam, wenn bereits hohe Temperatur vorhanden war, nur um uns keine Ungelegenheiten mit einem Hausbesuch zu machen.
Die nette Mrs. Finch war im Bett, als ich ankam, und sie sah keineswegs fröhlich aus. Sie war am Abend zuvor wegen dieser schrecklichen Kopfschmerzen zeitig zu Bett gegangen, sagte sie, und nun hatte sie auch noch Schmerzen im Leib.
Ich untersuchte sie. Dann untersuchte ich sie ein zweites Mal.
»Mrs. Finch«, sagte ich, »haben Sie kürzlich Aufregungen gehabt? Haben Sie irgendeine Veränderung an sich wahrgenommen?«
»Nun, ich fühle mich seit einiger Zeit ein bißchen merkwürdig, um ehrlich zu sein, Herr Doktor, aber ich bin im Haus meiner Tochter einige Stufen hinuntergefallen und meine, es sind die Nachwirkungen von diesem Sturz.«
»Hat Dr. Letchworth Sie kürzlich untersucht?«
»Ja. Er hat mir Tabletten
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