Auch sonntags Sprechstunde
gegen das Übergewicht gegeben. Er sagte, eine Gewichtszunahme sei in meinem Alter durchaus nicht ungewöhnlich.«
»Wann hat er Sie zuletzt untersucht?«
»Vor einigen Wochen, glaube ich. Ich bin jetzt bei den letzten Tabletten angelangt, und er gibt mir für gewöhnlich ein Rezept für vierzehn Tage.«
Ihr Gesicht verzog sich vor Schmerzen. Ich legte nachdenklich mein Stethoskop beiseite, zog mein Jackett aus und rollte die Ärmel hoch.
Mrs. Finch schrak zusammen.
»Es ist doch nichts Ernstes, Herr Doktor? Ich bin noch nie auch nur einen Tag krank gewesen. Auch mein Mann nicht. Bei jedem Wetter sind wir draußen.«
»Ich weiß nicht, was Sie unter >ernst< verstehen«, sagte ich langsam, ich wollte vermeiden, ihr einen Schock zu versetzen, denn ich hatte soeben selbst einen bekommen. »Was würden Sie sagen, wenn Sie ein Baby bekämen?«
»Ich würde sagen, Sie sind nicht ganz bei Tröste, Herr Doktor. Wenn Sie mir das verzeihen wollen. Meine Älteste ist neunundzwanzig, und ich habe schon sechs Enkelkinder.« Sie setzte sich auf. »Wo ist Dr. Letchworth?«
»Er ist im Urlaub. Aber auch wenn er hier wäre, könnte er nichts dagegen tun.«
»Aber er war doch vor vierzehn Tagen noch hier und hat mich untersucht.«
Oh, wie wollte ich Robin auslachen, wenn er zurück war!
»Es ist nicht sein Fehler, Mrs. Finch. Sie sind ein höchst ungewöhnlicher Fall.«
Sie verzog schmerzgeplagt das Gesicht und legte sich wieder hin.
»Jetzt, wo Sie davon reden«, sagte sie, als der Schmerz vorbei war, »kommt es mir auch so vor, als seien es Wehen. Aber das ist doch nicht möglich. Meine Tochter, schnell, ich muß mit meiner Tochter sprechen.«
Ich zog ihre Bettdecke zurück. »Dazu haben Sie jetzt keine Zeit. Hier ist kein Telefon, wie?«
»Haben Sie wirklich >Baby< gesagt, Herr Doktor?« jammerte Mrs. Finch mit weit aufgerissenen Augen.
»Ja, Baby, ja, Mrs. Finch«, sagte ich und überlegte, daß die übrigen Patienten auf der Visitenliste würden warten müssen. »Und ich denke, daß es nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.«
»Was werden nur meine Töchter sagen!« seufzte Mrs. Finch, »und Tom erst. Er wird davonlaufen.«
Wir hatten keine Zeit zu weiteren Überlegungen. Mrs. Finch schrie laut vor Schmerzen.
11
Eine Stunde später, nachdem ich als Hebamme und Arzt zugleich tätig geworden war und Robin in jeder Atempause verwünscht hatte, wurde Mrs. Finch von einem Knaben entbunden, der nicht mehr als ein Paket Zucker zu wiegen schien. Inzwischen waren auch die Nachbarn alarmiert, die sich, nachdem sie sich von der Überraschung erholt hatten, als sehr hilfreich erwiesen. Einer war auf seinem Motorrad davongeflitzt, um Mr. Finch, der mit seinem Milchwagen unterwegs war, zu suchen.
»Sie glauben doch nicht, daß er am Leben bleibt«, sagte eine der Nachbarinnen säuerlich und betrachtete das winzige Etwas. »Ich bin auch nicht ganz sicher«, antwortete ich und wickelte das Kind in ein Tuch, das eine der Frauen gebracht hatte. »Laufen Sie bitte hinunter zur Telefonzelle, rufen Sie das Städtische Krankenhaus an und sagen Sie, daß Sie in meinem Auftrag anrufen; sie sollen schnellstens den Ambulanzwagen für Frühgeburten herschicken.«
»Wenn ich nicht so erschöpft wäre, würde ich noch immer denken, daß Sie mich zum besten gehalten haben, Herr Doktor«, sagte Mrs. Finch.
»Ich Sie zum besten halten?« Ich zeigte Mrs. Finch ihren Sohn.
»Mein Jüngster ist einundzwanzig!« jammerte sie.
Mrs. Finchs Mann, der älter als seine Frau war und kurz vor der Pensionierung stand, betrat den überfüllten Raum. Ich verlor fast die Beherrschung. Alles war gegen die Regel. Es hätten keinesfalls so viele Menschen in dem Zimmer sein dürfen, das Baby war zu winzig, das Risiko der Infektion war groß. Ein Berg Windeln, die hilfsbereit in der Eile herangeschafft worden waren und die nach allem Möglichen rochen, wovon der Geruch nach Mottenkugeln noch der angenehmste war, lag in einer Ecke. Ich schob alle aus dem Zimmer und bat, der armen Mrs. Finch eine Tasse Tee zu kochen, ganz zu schweigen von meiner erschöpften Person selbst.
»Nun, was ist denn hier los?« fragte Tom Finch, noch in seiner gestreiften Milchmannschürze, den Weg zum Bett seiner Frau bahnend.
Ich zeigte ihm das Baby.
»Und wem gehört es?«
»Dir«, sagte Mrs. Finch.
»Komm zu dir, Margaret. Das ist ein schlechter Scherz. Ich glaube, hier ist alles verrückt geworden. Ich war gerade dabei, Mrs. Pennyfeather die Eier zu liefern
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