Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
Schloss ihres Koffers herum. Endlich war es offen. »Hier sind sie«, und sie reichte Lene ein kleines Bündel. Die E-Mails. Joannes einziger Hinweis, falls es denn so etwas geben würde. Lene legte sie auf ihren Nachttisch. Was für ein Glück, dass amerikanische Hotelzimmer über ein ausreichendes Leselicht verfügten. Lenes schlimmster Albtraum waren Hotelzimmer mit schummriger Nachttischlampe an einem Platz, der höchstens für Analphabeten optimal war. Während Sophie unter der Dusche stand, dachte Lene noch einmal an Mike Fuller. Er strahlte eine vertraute Tüchtigkeit aus und musste doch einen Grund haben, jemandem wie Bill Edwards einen Mordfall zu übergeben. Was war da nur passiert? Wieso hatte der den Fall so schnell wegschieben wollen? Ihr drehte sich der Kopf.
Der Flug, d er Besuch im Kommissariat. Mike Fuller, Diese tiefblauen Augen. Ob er wohl verheiratet war, mit Häuschen in der Vorstadt, mit spielenden Kindern und Hund, die ihn abends erwarteten? Oder ging es ihm wie ihr und vielen ihrer Kollegen, kam er abends nach Hause in eine leere Wohnung?
Sofort dachte sie an ihre beiden Kater. Perugio und Rossini waren bei Jonas untergekommen für die Zeit ihres Urlaubs. Also gut, sie hatte durch die beiden nie eine leere Wohnung. Eigentlich willst du nur wissen, ob er eine Frau hat. Klar ist er attraktiv! Ach, sei nicht blöd!
Dann rief sie W ill und Sam an. Stürzte in deren Abgrund der Trauer wie in ein schwarzes Loch ohne jeden Lichteinfall. Sie erzählte ihnen von ihrem Gespräch mit Fuller und erfuhr von Sam, dass nicht etwa die Polizei bei ihnen als erste angerufen hatte, sondern jemand mit verstellter Stimme. Wohl eine Frau, meinte Sam. Sie hatte als erstes gefragt: » Mrs. York, wissen Sie eigentlich, dass Joanne, ihre Tochter, tot ist? Und Marc auch.«
» Ich habe mich selbst schreien gehört. Nein! Nein! Gott, bitte nicht!«, erzählte Sam weiter. »Dann war da wieder diese kühle, verstellte, unbeteiligte Stimme. Doch, Mrs. York, sie ist gestern erschossen aufgefunden worden.«
Dann hatte sie aufgelegt . Sam war wie betäubt gewesen, Will stand neben dem Telefontischchen, erstarrt vor Entsetzen. Sie hatten Marcs Eltern angerufen, die in San Francisco lebten. Die hatten seltsam zurückhaltend reagiert. Sie hatten die Nachricht schon am Tag vorher gegen Mitternacht erhalten, von einem Sergeant der San Francisco Police. Will und Sam waren dann mit Matthew sofort nach San Francisco aufgebrochen, nachdem sie bei der Polizei angerufen und dort die furchtbare Wahrheit bestätigt bekommen hatten. Matthew war gefahren und sie waren zweimal fast in einen Unfall geraten, weil auch Matthew, der sonst so Ruhige und Vernünftige, oft erst in letzter Sekunde reagiert hatte. Dann waren sie zu Joannes Wohnung in der Filbert Street gefahren, zwischen dem russischem und französischem Viertel.
» Die Wohnung war nicht einmal gesichert, kein Siegel, kein Absperrband, nichts. Stell dir das vor, Lene«, empörte sich ihre Tante am Telefon und hörte sich dabei an, als ob sie gleichzeitig eine zornige Kraft entwickelte. Als sie mit ihrem Ersatzschlüssel hineingingen, war der Schock umso größer. Das Wohnzimmer sah nach Gewalt aus. Ein Sessel war umgeworfen, der Glastisch hatte einen dicken Sprung, und der Tresor stand offen. Er war leer. Das Bild, das ihn normalerweise verbarg, lag auf der Erde. Im Schlafzimmer oben Blut, die Bettdecke voller Blut. Was war hier nur passiert? Es musste ein Raubmord gewesen sein. Blutspuren im Bad, Blutspritzer an den Wänden, eine Blutlache, die die rosa Fliesen bedeckte. Es war grauenvoll.
Sie waren dann zur Polizei gefahren. Bill Edwards hatte sie empfa ngen und ihnen gesagt, dass er die Ermittlung führe, aber sein Chef Mike Fuller, der eigentlich Zuständige wäre. Der sei aber nicht zu sprechen gewesen. Edwards hatte den geschockten Eltern dann in etwa den Tathergang umrissen. Und das war das Unglaublichste: Marc sollte das ihrer Tochter angetan haben!
Sie mü ssen sich gestritten haben. Dann hat der junge Mann Ihre Tochter mit einer Waffe bedroht. Sie ist ins Bad gerannt, um sich vor ihm in Sicherheit zu bringen. Er hinterher. Hat sie in die Enge getrieben und erschossen. Dann ist er ins Schlafzimmer und hat sich selbst erschossen.
» Was für ein Blödsinn, Lene. Ich glaube, der wollte einfach nur eine schnelle Erklärung und das war’s dann für ihn.«
Sam s prach weiter – immer noch erbost über die polizeiliche Ermittlung.
» Nun haben wir auch die seltsame
Weitere Kostenlose Bücher