Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
ausmachte, in bequemer Reichweite. Mitch bot ihnen einen Drink an, holte Gläser. Sophie, die selten stärkere Getränke mochte, wollte einen Whiskey on the rocks probieren. Um amerikanisch zu sein. Lene blieb bei Bier.
» Wir sind beide sehr traurig mit euch«, begann Lene das Gespräch. Wendy sah sie forschend an.
» Und wir sind mehr als dankbar, dass du gekommen bist, Lene, und dich um die Morduntersuchung kümmerst. Es war unbeschreiblich schrecklich, als sie auch noch Marc beschuldigten, er hätte das getan. Diese Last ist uns jetzt wenigstens erspart geblieben. Wir hoffen sehr, dass ihr den Mörder findet. Wir wissen einfach zu wenig. Wie ist es denn überhaupt passiert? Habt ihr das rekonstruieren können?«
Lene ü berlegte, was sie sagen dürfte.
» Es sieht so aus, als ob Marc Joanne schützen wollte und deshalb erschossen wurde. Denn anscheinend hat man ihn – im wahrsten Sinn des Wortes – aus dem Weg geräumt und sie dann getötet. Es tut mir so leid.«
Aber Wendy war tapfer, irgendwie zufrieden, als sie das hö rte.
» Das ist es, was wir wissen wollten. Vor der Beerdigung. Wir haben schon mit Will und Samantha gesprochen. Wenn Marc aus Liebe zu Joanne gestorben ist, sollten wir sie im Tode nicht trennen. Wir wären dann bereit ihn mit Joanne in Bakersfield beerdigen zu lassen.«
Jetzt war es an Lene mit ihrer Rührung zu kämpfen. Als sie zu Sophie hinüberschaute, sah sie, dass auch sie wässrige Augen hatte.
» Das finde ich sehr großmütig von euch. Nach Bakersfield ist es doch ziemlich weit.«
» Ja, aber sie werden dort zusammen sein. Das ist das Wichtigste. Wir haben ihn ja sowieso in unserem Herzen. Ich denke, ich – und Mitch denkt genauso, wir haben lange darüber gesprochen – kann immer mit ihm sprechen, egal wo sein Grab ist. Er wird immer um mich sein, wenn ich an ihn denke. Und von Los Angeles ist es ja nicht so weit nach Bakersfield, so dass John immer einmal hinfahren kann, oder wir, wenn wir ihn dort besuchen.«
Alle sahen zu John. Er war ganz blass.
»Ich muss mich erst einmal an den Gedanken gewöhnen. Aber natürlich, ihr habt Recht. Ich kann ihn nur so schwer loslassen«, kam es stockend von ihm.
Wendy streichelte ihrem Sohn den Rü cken. Diese Geste zeigte, wie sehr sie um die Einsamkeit wusste, die er mehr als alle anderen fühlte.
Mitch sprang entschlossen auf. »Dann rufe ich gleich bei Will und Samantha an. Dass das geregelt ist.«
» Kann ich auch noch mit ihnen sprechen?«, bat Lene.
» Ja, du kannst auch in unser Schlafzimmer gehen, wenn du ungestört sein möchtest.«
Will und Sam reagierten sehr erleichtert, dass Marcs E ltern ihren Vorschlag akzeptiert hatten.
» Dann ist Joanne nicht so allein«, sagte Sam leise.
Sie war dies Mal am Telefon. Lene sah die kleine, zerbrechlich wirkende Samantha vor sich.
Die Beerdigung sollte in drei Tagen sein. Nachmit tags um vier Uhr. Sie und Will hatten schon eine Grabstätte herausgesucht. »Es ist so schön dort, so friedlich. Eine Birke breitet ihre Äste darüber aus und gibt dem Platz ein sonnengesprenkeltes Licht. Das hätte ihr gefallen.«
Lene dachte an die E-Mail, in der Joanne beschr ieb, dass sie die Natur gerade in diesem Jahr so sehr wahrnahm.
» Macht es dir und Sophie etwas aus in Joannes Zimmer zu schlafen, wenn ihr kommt? Dann könntet ihr hier bei uns sein«, fragte Sam. Lene war gerührt und bedankte sich herzlich, dass sie das dürften. Sie wären Joanne sehr gerne so nahe – und bei ihnen.
» Darf ich einmal Marcs Zimmer sehen?« bat sie später und Wendy führte sie hin.
» Die Jungs hatten immer ein Zimmer zusammen, aber dafür ist es das größte im Haus sagte sie, als sie die Tür öffnete. Die Jungs waren inzwischen zwar siebenundzwanzig, aber in ihrem Zimmer war noch viel von ihrer Jugend aufgehoben worden und spiegelte ihre Entwicklung. Von stolzgeschwellten Baseballspielfotos über Abschlussfotos von Highschool und College bis zu einem großen Filmplakat von »Der mit dem Wolf tanzt«. Auf den Schränken Kisten – mit Erinnerungen? – und auch sonst war da sehr viel hineingestopft worden, in dieses Zimmer. Jede Menge Bücher, ein Fernsehapparat, die beiden Betten, als Tagessofas getarnt, in den schräg gegenüberliegenden Ecken des Zimmers. Zwei Schreibtische mit zwei älteren Computern. Aber insgesamt atmete dieses Zimmer eine Gemütlichkeit aus, die im ganzen Haus zu spüren war, auch in dem Schlafzimmer der Eltern, in dem Lene vorhin telefoniert hatte. Sie saßen noch
Weitere Kostenlose Bücher