Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
werde mir alles durch den Kopf gehen lassen.«
Bill Edwards grinste anzü glich.
» Eine wirklich lange Fahrt zu einer Beerdigung. Aber für Ms. Becker ist dir natürlich kein Weg zu weit. Becker in Bakersfield. Passt gut. Oder willst du etwa überprüfen, ob Joannes Eltern als Täter in Frage kommen?«, und als er Fullers Miene sah, fügte er beschwichtigend hinzu »Schon gut, ich weiß ja, dass es sinnvoll ist. Es ist diesmal eben ein ganz schöner Aufwand. Ich wollte dich nur ärgern.«
» Ist dir gelungen. Also bis morgen irgendwann.« Dann sanfter mit einem aufmunterndem Lächeln: »Alles Gute für Sue.«
Mike Fuller griff nach seiner schwarzen Lederjacke und war aus der Tür.
Kap itel 33
Lene lag noch angezogen wie gelähmt auf dem Bett, Joannes Bett. Neben ihr schlief Sophie.
Kann man seelisch erschö pft sein? fragte sich Lene.
Der Tag war so traurig gewesen. Die Beerdigung lief noch ei nmal als Film vor ihrem inneren Auge ab. Wie tröstlich es war, dass all die Verwandten und Freunde von Joanne und Marc da gewesen waren um den beiden Elternpaaren zur Seite zu stehen. Wenn doch in ihren Gedanken nicht ständig die Frage auftauchen würde, ob es einer aus dem Freundeskreis gewesen war. Wie zusätzlich belastend, wenn man nicht als Kommissarin von außen zusah, sondern plötzlich zu den Angehörigen, zu dem Kreis der Trauernden, gehörte. Egal, wie dieser Fall schließlich geklärt werden würde, eines wusste Lene jetzt schon: Sie hatte viel an Mitgefühl mit die Angehörigen künftiger Mordfälle dazugelernt. Sie würde sich ab jetzt anders verhalten und viele Momente sensibler aufnehmen. Dafür war sie dankbar. Wieder etwas im Leben verstanden, dachte sie. Wenn auch auf eine harte Art.
Sie hatte von Sam einen Haustü rschlüssel bekommen. Und den würde sie jetzt benutzen. Sie musste mit Mike sprechen. Leise stand sie auf, zog ihre Jacke über und schlich sich aus dem Zimmer, dem Haus. Sie hoffte, dass keiner den Anlasser ihres Autos hören würde und rollte möglichst geräuscharm die Auffahrt hinunter. Den Weg hatte sie sich von Mike beschreiben lassen, für alle Fälle.
Mike – wie froh war sie, als sie ihn heute Nachmittag unter dem Baum stehen sah, etwas abseits der Trauergemeinde und doch so, dass er alle gut sehen konnte. Wieder sah auch sie die anderen vor sich. John, der seine Mutter zu stützen schien, mit verzweifeltem Gesicht, mühsam um Fassung ringend. Sarah, die ein zartes, wunderschönes Blumengebinde in das Grab warf und dabei so aussah, als sei sie mit all ihren Empfindungen bei ihren beiden Freunden - mit ihnen verbunden. Sehr gefasst, sehr liebevoll. Fred, der unendlich traurig wirkte. Verloren. Als sei ihm etwas Kostbares weggenommen worden. Etwas Unersetzliches. Iris, die immer wieder Fred anschaute, als wolle sie ihn beschützen. Behüten? Als wollte sie auf jeden Fall jede schmerzliche Regung gleich sehen und abfangen.
Marcs Eltern und - fü r Lene am wichtigsten – Will und Sam. Sie sah sich plötzlich selbst als junges Mädchen mit Will in München Essen gehen, ihr geliebter und bewunderter »Onkel aus Amerika«, für den sie ihr bestes Schulenglisch anwandte. Dann hörte sie wieder seine fast gebrochene Stimme am Telefon, als er ihr Joannes Tod mitteilte. Wie sehr er gealtert war durch das Geschehen! Alle Lebenskraft schien ihn verlassen zu haben. Er und Sam, die sich kaum auf den Beinen halten konnte, wurden umfasst von ihren beiden Söhnen, Thomas und Matthew. Thomas, der doch noch gestern spät gekommen war. Auch er, wie Matthew, war ein Mann geworden, Farmer in Iowa. Die Farm aus Franks Familie war zu seinem realisierten Lebenstraum geworden. Schon als Zwölfjähriger hatte er Lene von seinem künftigen Farmerleben vorgeschwärmt und sein kräftiges Jungengesicht hatte geleuchtet vor Begeisterung. So wie Matthew schon früh wusste, dass die Medizin sein Gebiet war. Wie bei Vater und Großvater. Da war das Hotel. Sie parkte und schaute beim Überqueren der Straße an der Häuserfassade hoch. In einigen Fenstern brannte Licht. Ob er sie erwartete?
An der Rezeption ein sorgfä ltig gekleideter junger Mann. Er rief gleich bei Mike an und beugte sich dann mit Verschwörermiene zu ihr.
» Mr. Fuller erwartet Sie«, sagte er dann mit einem, für ihren Geschmack zu vertraulichen, angedeuteten Lächeln. Was denkt der sich? fragte sie sich erbost. Aber egal. Sie fuhr in den dritten Stock und klopfte an Mikes Tür. Er öffnete und sah sie einfach nur an, nahm ihre
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