Auf Bewährung
Auch hatte Diane Tolliver niemanden von daheim angerufen – jedenfalls nicht vom Festnetz aus –, und die einzigen Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter waren dienstlicher Natur gewesen. Wie viele andere Menschen auch hatte Tolliver vermutlich hauptsächlich ihr Handy zur Kommunikation benutzt.
Sie konnten ihr iPhone jedoch nicht finden, denn das war angeblich in ihrer Handtasche gewesen. Allerdings hatten die Ermittler sich eine Anrufliste bei ihrem Provider besorgt. Diane Tolliver hatte nur wenig mit ihrem Handy telefoniert, und das mit niemand Besonderem. Alles in allem hatte sie an diesem Wochenende getan, was man eben am Wochenende tut. Schließlich hatte sie ja auch nicht gewusst, dass dies das letzte Wochenende ihres Lebens sein würde.
Den letzten Freitag, ihren letzten vollen Arbeitstag in der Kanzlei, hatte Diane Tolliver vor allem damit verbracht, sich mit Klienten zu besprechen. Drei von ihnen kamen aus der Stadt und waren bereits befragt worden, doch diese Befragungen hatten nichts erbracht. Diane Tolliver war ihnen bei den Treffen vollkommen normal erschienen. Zwei ihrer Meetings hatte sie dann noch mit Männern aus dem Ausland gehabt. Beide Männer waren Freitagabend abgeflogen und befanden sich nun im Nahen Osten. Also konnten sie offensichtlich nicht die Killer sein.
Beths Handy klingelte.
»Hallo?«
»Musst du Überstunden machen?«, fragte Mace.
»Ich hatte noch einen PR-Termin, aber der ist gestrichen worden. Was hast du anzubieten?«
»Dinner. Ich zahle. Such einen netten Laden aus, und ich meine wirklich nett , wo man Schuhe und so tragen muss.«
»Hat Altman dir einen Vorschuss gezahlt?«
»Nein, ich habe nur mein Konto geplündert.«
»Mace, was ist mit deinen Gläubigern?«
»Die werde ich mit meinem ersten Gehaltsscheck bezahlen. Lass uns einfach was Schönes essen gehen.«
»War Mom so schlimm?«, fragte Beth.
»Sie lebt noch und ich auch«, antwortete Mace. »So schlimm war es also nicht.«
»Okay«, sagte Beth. »Wie wäre es mit halb neun? Ich rufe dich dann an und sage dir, wo wir hingehen.«
Mace legte auf, und Beth widmete sich wieder ihren Notizen.
Ihr Bürotelefon klingelte.
Beth hob ab und hörte zwei Minuten lang zu.
Es hatte noch einen Mord gegeben.
Und dieser Mord ging Beth schon ein wenig näher. Ein Bundesanwalt war tot, allerdings nicht Mona Danforth ... nur mit Mühe vermied Beth ein »unglücklicherweise« am Ende des Gedankens. Aber sie hatten gerade Jamie Meldons Leiche in einem Müllcontainer in Nordwest-Washington gefunden.
Kapitel 26
A uf der Fahrt dachte Beth über den toten Mann nach. Jamie Meldon war einer von Mona Danforths wichtigsten Assistenten und seiner Chefin so unähnlich, wie man nur sein konnte. Er war ein braver, gewissenhafter Jurist, der sich wie alle guten Staatsanwälte jede Menge Feinde in der Unterwelt gemacht hatte. Und einer dieser Feinde könnte ihn ermordet haben. Natürlich würde Beth jetzt nicht mehr mit Mace zu Abend essen; aber wenn es eines gab, was ihre Schwester verstand, dann, dass der Job wichtiger war als alles andere.
Als Beth den Tatort erreichte, war sie nicht überrascht, neben ihren Leuten auch das FBI zu sehen. Meldon war immerhin ein Bundesanwalt, und somit war seine Ermordung auch ein Bundesverbrechen. Was sie jedoch schockierte, war, ihre Beamten und Kriminaltechniker packen zu sehen.
»Was ist denn hier los?«, fragte sie den verantwortlichen Detective.
»Man hat uns unmissverständlich klargemacht, dass das eine Bundesangelegenheit ist und wir somit nicht willkommen seien«, antwortete der Mann.
»Wir haben bei Mordermittlungen auch früher schon mit dem FBI zusammengearbeitet. Wo ist der verantwortliche Special Agent?«
Der Detective deutete auf einen Mann im Anzug, der neben dem Müllcontainer stand.
Mit zwei ihrer Detectives im Schlepptau marschierte Beth dorthin. »Würden Sie mir wohl sagen, was hier los ist?«
Der Mann drehte sich zu ihr um. »Hallo, Beth.«
Beth erkannte ihn sofort. »Steve? Seit wann treibt sich ein stellvertretender Direktor denn an einem Tatort rum?«
Steve Lanier, der stellvertretende Direktor des FBI in Washington, war ein Mann, mit dem Beth für gewöhnlich eng zusammenarbeitete. »Nun«, erwiderte er, »bei dir scheint das ja genau andersherum zu sein. Soweit ich gehört habe, kommst du jedes Mal raus.«
»Hast du Jamie Meldon gekannt?«
»Nein.«
»Warum bist du dann hier?«
Steve schaute zu einer Gruppe von Anzugträgern. »Weißt du, wer das
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