Auf Couchtour
Ostpreußisch. Ich war froh, dass es kein Rumänisch war. Rumänische Flüche sind grauenhaft und erfüllen sich meist. Armer Herr Steiner. Er starrte mich an. Ich starrte ihn an. Es fiepte. Ich musste den Stecker ziehen, damit der Lärm endlich aufhörte. Als ich mich umdrehte, war Herr Steiner verschwunden. So schnell bin ich ihn noch nie losgeworden. An diesem Tag hatte sich die Mikrowelle ihren Platz in meiner Küche verdient. Ich behalte sie. Zum Kochen taugt sie zwar nicht, aber zum Steiner vertreiben – immerhin.
Am Wochenende kommen meine Eltern zu Besuch. Sonntag. Immer, wenn so ein Termin ansteht, fühle ich mich schlecht, davor, danach und währenddessen auch. Diesmal kann ich mich nicht davor drücken, weil ich sie um einen Gefallen bitten will. Ich habe einen Plan und brauche ihre Unterstützung. Es ist ein sehr teurer Gefallen, daher frage ich sie besser direkt. Ich liebe meine Eltern, aber ich entspreche so ganz und gar nicht ihren Vorstellungen, was beinahe ständig zu Missstimmungen zwischen uns führt. Deswegen meine Anspannung, wenn ich an das Wochenende denke. Größter Knackpunkt: mein Singledasein. Für mich ein Zustand, der morgen schon Vergangenheit sein könnte. Für meine Eltern jedoch bin ich ein altes, einsames Wrack, das es zu bedauern gilt, was sie auch bei jeder Gelegenheit tun. Seit 35 Jahren sind sie ein ihrer Meinung nach glückliches Paar. Ich bin – offensichtlich, für jeden, der rechnen kann – die Ursache dieses legitimen Glückes. Wäre ich nicht passiert, wäre mein Vater zur See gefahren und hätte in jedem Städtchen ein Mädchen. In seinem Herzen ist er ein Pirat, einer, der nie geschnappt wird. Er verschlingt alles über Seeabenteuer und -ungeheuer. Sein größter Traum: einmal die ganze Welt umschiffen. Rum zum Frühstück, einen Papagei auf der Schulter und einen Enterhaken als Ersatzhand. Kapern, kentern, Schätze bergen, auf einem bisher unentdeckten Eiland stranden, wo sich die Inselschönheiten um ihn balgen: Das ist die Vorstellung, die ich von meinem Vater habe. Lernten Sie ihn kennen, dann träfen Sie auf einen Mann, der morgens mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, um frohen Mutes Leuten mit Verstopfung zu helfen. Nein, er ist kein Arzt. Er ist Klempner. Ein pflichtbewusster Ehemann und Vater. Ein zufriedener Mensch, würden Sie denken. Ich weiß es besser, denn ich kenne den Mann hinter dem Schnauzbart und der Kugelschreibersammlung in seiner Latzhose. Sollte ich jemals reich sein, kaufe ich ihm ein Schiff. Ich bin mir sicher, wir würden ihn nie wiedersehen.
Meine Mutter singt wie eine Nachtigall. Doch statt dankbar für ihre Stimme zu sein, findet sie, Talent sei eine Bürde. Es veranlasse Menschen dazu, nach den Sternen zu greifen. Ihr Credo: »Wer nach dem Himmel strebt, findet sein Glück auf Erden nicht.« Mag sein. Aber wie überzeugend klingt ihr Grundsatz, wenn man weiß, dass sie jede freie Minute im Keller vor einer Karaoke-Maschine trainiert? Sie verpasst keine Popstar-Casting-Show im Fernsehen, und wann immer ich an sie denke, höre ich sie singen. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass sie noch heute von der ganz großen Karriere träumt. Schon als Kind wusste ich über ihre nächtlichen Ausflüge ins Showbusiness Bescheid. Mit einem Fuß auf der Bühne und dem anderen im Alltag, schaute sie abwesend lächelnd durch mich hindurch, während sie mein Frühstücksbrot in Fetzen butterte. Kinder haben Antennen für so etwas. Sie hat mir nie davon erzählt – brauchte sie auch gar nicht, denn ihr Gesicht sprach Bände. Wahrscheinlich war es ihr peinlich, eine Spinnerei. Sie hatte nie den Mut, zu ihrer Gabe zu stehen und sie zu nutzen. Mir ging es ja anfangs ähnlich, nur dass ich auf kein Alternativtalent zurückgreifen konnte. Ihre Stimme habe ich nicht geerbt. Das wird jeder bestätigen, dem ich etwas vorsinge. Dafür wurde mir etwas viel Besseres in die Wiege gelegt: die Fahrkarte für meine Couchtouren – Fantasie.
Abschließend zu Mutti: Sollte ich jemals reich sein, werde ich ihr erstes Album produzieren. Ich bin überzeugt davon, es wäre ein Erfolg, und sie würde meinen Vater verlassen, um endlich ihren Traum zu leben.
So viel zum glücklichsten Paar seit Romeo und Julia. Ich sehe sie schon vor mir sitzen, mit ihren betretenen Mienen. Rosi und Karl-Heinz Engel. Eltern, die alles gegeben haben und trotz ihrer Mühen ihrem Versagen ins Auge blicken müssen: mir. Ich werde mir brav alle mitgebrachten Zeitungsausschnitte von Anzeigen
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