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Auf Couchtour

Auf Couchtour

Titel: Auf Couchtour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Wickmann
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keinem der Wütenden seinen Rücken als Zielscheibe anbieten. Aus der Nähe betrachtet erkannten wir meine Nachbarn – Bademantel an Bademantel, einer blumiger und farbenfroher als der andere. Ich vermied es, in deine Richtung zu schauen, um keinen Rückfall zu riskieren. Frau Schöller von nebenan schoss mit ihrem nächtlichen Outfit den Vogel ab. Am Körper trug sie ein Potpourri aus Klatschmohn, Gerbera und Rittersporn, in kleinen Quadraten auf ihren Mantel gesteppt. Über ihren Kopf hatte sie ein pinkfarbenes Einkaufsnetz gespannt, das ihre Lockenwickler an Ort und Stelle halten sollte und farblich zu ihren Puschen passte. Plötzlich richteten sich alle Augen auf uns. Es waren verdammt viele. Angriff ist ja bekanntlich die beste Verteidigung, also entschied ich mich für die Offensive.«
    »Was hast du getan? Uns den Weg freigesprengt?«
    »Besser, ich habe mich bei allen Anwesenden dafür bedankt, dass sie extra aufgestanden waren, um mir, beziehungsweise uns, eine gute Reise zu wünschen.«
    »Nee, ne?«
    »Doch. Schweigen im Flure. Damit hatten die nicht gerechnet. Ich krönte meine Heuchelei mit einem Griff an mein Herz, legte den Kopf schräg und seufzte gerührt – einmal für jeden Anwesenden. Die waren so perplex, dass sie nicht reagieren konnten. Ich teilte die Meute wie Moses das Rote Meer und verschaffte uns freie Bahn. Sie ließen uns ungehindert passieren. Wir rannten zum Auto, alle drei, weil keiner von uns eine Ahnung hatte, wie lange Lähmung durch Fassungslosigkeit anhält. Mit quietschenden Reifen brausten wir vom Hof. Bernd legte sich derart in die Kurven, dass ich auf der Rückbank hin und her purzelte. Mann, war der sauer. Mucksmäuschenstill erwarteten wir unser persönliches Donnerwetter. Es kam, noch bevor wir das Ortsausgangsschild erreichten. Wir ließen ihn donnern und wettern. Er hatte es sich verdient und ausnahmsweise recht. Wir waren arg in Verzug, aber wir wären nicht wir, wenn wir nicht auf den letzten Pfiff kämen, stimmt’s?«
    »Stimmt.« Charline schmunzelt in Gedanken daran, wie oft das schon der Fall gewesen war. Eigentlich ist es immer so. Ich bin einfach hoffnungslos chaotisch. Charline muss es mit ausbaden, wenn wir zusammen weggehen. Als Mutter und Ehefrau ist es ihr Job, für vier zu denken und zu planen. Sie ist ein wandelnder Kalender und hat mehr Termine im Kopf als ein Fahrkartenverkäufer. Für sie ist es ein Leichtes, pünktlich zu sein, sie ist geübt darin. Natürlich weiß das jeder. Deshalb werden Vorwürfe wegen Zuspätkommens stets direkt an mich adressiert.
    »Die Fahrt schien uns endlos lang. Ich schwieg, Bernd schwieg. Du wolltest wissen, wann wir endlich da sind. Schon ging das Theater wieder los. Bernd schob mir die Schuld in die Schuhe, ich schob dir die Schuld in die Schuhe, du wusstest nicht, wohin mit der Schuld, und ließt sie auf dir sitzen, damit Ruhe einkehrt. Auf dem letzten Kilometer besann sich Bernd, legte seine Hand auf dein Knie und rang sich ein Lächeln für dich ab. Für mich hatte er keins übrig, dabei war ich ebenso bedürftig. Ich kauerte wie eine Faltschachtel auf der Rückbank seiner geliebten, schlickbraunen Opel-Kadett-Limousine, Baujahr 1970, und war von der Hüfte abwärts gelähmt.«
    »Spotte nicht über seinen Wagen!«
    »Das Bernd-Gefährt? Ich bitte dich, was gibt es darüber Nettes zu sagen? Hast du überhaupt schon mal hinten gesessen?«
    »Ich glaube ja.«
    »Wohl kaum. Sonst würdest du dich nämlich an Jahr, Tag und Dauer der Fahrt erinnern. Wer könnte diese Tortur vergessen? Es gibt keine Position für Menschen ab 1,60 Meter, die eine Durchblutung der unteren Extremitäten zulässt. Ich hab sie alle durch.«

    Für Sie zur Info: Dieses Auto ist Bernd Breitschnabels Heiligtum. Es wird von ihm gepflegt, poliert und liebkost. Er nennt es zärtlich Rocky, und für ihn käme kein neues Auto in Frage, auch wenn Rocky, wie es sich für einen Rentner gehört, lieber steht als fährt. Bernd verbringt irrsinnig viel Zeit mit ihm. Die beiden sind wie siamesische Zwillinge, die man nach der Geburt getrennt hat. Die Vorstellung, dass seine Mutter ihn mitsamt dem Auto zur Welt gebracht hat, ist übrigens gar nicht so weit hergeholt: Sie ist die dickste Frau, die ich je gesehen habe. Ihr Becken ist so breit wie ein Scheunentor, na ja, fast. Als sie mit Bernd schwanger war, litt sie unter fiesen Fressattacken. Sie stopfte alles in sich rein, was ihr in die Finger kam. Kein Arzt konnte ihr helfen und so wurde sie dicker und

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