Auf Couchtour
seines Erzeugers auf der Passagierliste entdeckte, witterte er seine Gelegenheit. Als Steward konnte er den richtigen Moment abpassen, ohne aufzufallen. Niemand fand es verdächtig, dass er sich zu ihm runterbeugte … Frau Angaard ist seine Mutter. Fotos im Koffer belegen es. Der patzige Rücken hat weder sie noch seinen Sohn erkannt, wie sollte er auch. Vierzig Jahre sind eine lange Zeit. Als er sich damals bei Nacht und Nebel aus dem Staub gemacht hatte, ahnten beide nicht, welche Folgen ihre Liaison haben würde. Sie war schwanger. Schwanger und allein auf sich gestellt. Nie im Leben hätte er damit gerechnet, sie wiederzusehen, von einer Vaterschaft ganz zu schweigen. Während des Tumults im Flugzeug hatte die Angaard versucht, ein Beweisstück verschwinden zu lassen, das ihren Sohn mit dem Mord in Verbindung brachte, und war dabei von den panischen Passagieren über den Haufen gerannt worden.«
»Was denn?«
»Keine Ahnung, sag du es mir. Ich hab doch recht, oder?«
»Wie bist du darauf gekommen?«
»Du hast Harolds Nachnamen verschwiegen. Stattdessen wolltest du dich ständig an den der Stewardess erinnern, um davon abzulenken. Aber ich habe dich durchschaut: Harold und die Angaard! Sie war natürlich in seine Pläne eingeweiht und beabsichtigte, ihren Sohn zu schützen, indem sie uns zu Hauptverdächtigen machte.«
Ich bin sprachlos. Charline kann ja kombinieren wie Columbo! Wohl wissend, dass sie mich gerade total verblüfft hat, reckt sie ihr Kinn vor und erwartet stolz mein Lob. Zugegeben, ihre Hypothese ist grandios – aber falsch. Wie bringe ich ihr das am besten bei, ohne gehässig zu klingen? Klar freut es mich auch ein bisschen, dass sie mit ihren Vermutungen danebenliegt. Denn für keinen Geschichtenerzähler ist es erstrebenswert, durchschaubar zu sein. Ich beginne mit einer Frage: »Deine Theorie beinhaltet ganz schön viele Zufälle, findest du nicht? Vergrämte Mutter, erwachsener Sohn und verschollener Vater gemeinsam an Bord? Wir verlassen ungewollt unsere Plätze …«
»Zufälle passieren nun mal und dieser hier ließ immerhin vierzig Jahre auf sich warten.«
»Och, Charline, nun mach aber mal halb lang. Weihnachten und Ostern fallen zusammen auf einen Tag – im August?«
»Wieso? Kann doch passieren – irgendwann.« Das ist nicht wirklich ihr Ernst, sondern nur ein kläglicher Versuch, ihre Idee zu retten. »Nein. Niemals.« Mit einem resoluten Blick unterbinde ich jeden weiteren Ansatz einer Diskussion über zufällige Zufälle, die zufällig zutreffen. »Aber wie war es denn dann?«, mault die Enttäuschte bockig, wenn auch überzeugt. Ich halte kurz inne, sammele meine Gedanken und beame uns wieder zurück in den Verhörraum.
»Also, diesmal war ich diejenige, die mit dem Finger zeigte, und zwar auf Stiller. Wir sind immer noch bei dem ominösen Inhalt des Koffers. Des Rätsels Lösung befand sich bereits auf dem Weg zu uns. ›Lassen Sie mich raten‹, forderte ich die beiden auf. Troy stimmte sofort zu, Stiller zögerte, wurde aber nach ein paar Sekunden des Schweigens von seiner Neugier überwältigt und willigte ebenfalls ein. Ich holte tief Luft und ratterte meine Vermutung herunter: ›Ein Rasierapparat, Boxershorts, ein Anzug und ein Playboy-Magazin.‹ Bumms. Während Stiller überlegte, warum eine Frau derartige Sachen einpacken sollte, stampfte Troy mit den Füßen auf und stotterte: ›B… B… B… Bingo!‹ Wir klatschten ab, als hätten wir gerade bei einer Gameshow den Jackpot abgeräumt. Ihn hatte ich auf jeden Fall gewonnen. Er mich längst. Wir freuten uns wie zwei Kinder. Vielen Dank, Frau Angaard, dass Sie mir diese Showeinlage ermöglicht haben.«
»Moment mal!«, stoppt mich Charline. »Du willst mir doch nicht allen Ernstes einreden, die Angaard sei ein Mann!«
»Oh doch, John Travolta. Ich hätte es wissen müssen, nachdem ich ihr bzw. ihm den Schuh ausgezogen hatte. Meine Nase hat mich noch nie getäuscht. Außerdem, erinnerst du dich, dass er vorhin im Wartessaal in der Schlange vor der Männer-Toilette stand?«
»Stimmt, wir dachten, er bzw. sie sei etwas durcheinander.«
»Nein, Charline, es war die Macht der Gewohnheit. Eine Frau wird Mann nicht über Nacht. Ich habe gelesen, für seine Rolle als Edna Turnblad in dem Film Hairspray wurde Travolta täglich fünf Stunden präpariert und geschminkt. Er sah so knuffig aus, aber eben trotzdem wie Travolta. Der Typ hat ein so markantes Gesicht, dass man es trotz Spachtelmasse und Silikonkissen in
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