Auf Couchtour
das wirklich, das mit deinem Opa?«
»Dass sie ihm die Zehen abgehackt hat? Na klar. Mein Vater sagte denen im Krankenhaus damals, es sei ein Unfall gewesen. Opa sei beim Holzspalten die Axt ausgerutscht. Er wollte Oma nicht in Schwierigkeiten bringen. Opa war damit einverstanden. Außerdem ist eh alles meine Schuld gewesen. Ich hatte Opa zum Geburtstag diese Tigerkopf-Pantoffeln geschenkt, die er nur mir zuliebe trug. Oma Else, mit ihren mittlerweile vom grauen Star getrübten Augen, dachte wohl, da liegt irgendein Viech auf dem Boden, als Opa mit ausgestreckten Beinen im Sessel ein Nickerchen machte. Sie hackte zu.«
»Das ist ja furchtbar.«
»Aber leider wahr … Was ich eigentlich erzählen wollte, um Bolles Kurzschlussreaktion zu erklären, ist die Geschichte mit der Ratte. Oma ›Todesspaten‹ Else verschwendete kein Geld für Fallen. Warum auch, zuhacken kostete ja nichts. Als sich mal eine Ratte in ihren Keller verirrt hatte, drängte Oma das Tier mit ihrem Spaten in eine Ecke. Die Ratte konnte nicht weg, weil Oma ihr den Fluchtweg versperrte. Sie war ja Profi. Sie holte aus, wollte zuschlagen – da sprang ihr die Ratte an den Hals und biss sich fest. Das war das einzige Mal, dass Oma den Spaten freiwillig fallen ließ. Sie brauchte beide Hände, um das Ungetüm von sich abzureißen. Danach hat sie es natürlich in viele kleine Stücke zerlegt.«
Charline wächst bei dem Gedanken an das Rattenragout ein Pelz auf der Zunge. Sie spült den haarigen Geschmack mit Sekt herunter.
»Hoffentlich hast du nicht ihre mörderischen Gene geerbt.«
»Na ja, wenn ich bedenke, was mir im Traum so alles einfällt, kann ich kaum leugnen, dass ein Teil von ihr in mir wütet.«
»Solange es beim Träumen bleibt …«
»Der Schritt vom Gedanken bis zur Tat ist kein großer!« Ich lasse das Feuerzeug auf dem Tisch klackern, um das Geräusch von Omas Spatengang nachzuahmen. Charline findet das nicht witzig. Ich höre damit auf. Ich will auch nicht zu weit abschweifen.
»Bolle hat genauso reagiert wie die Ratte. Ihm blieb keine Wahl – töten oder getötet werden.« Charline schweigt. Überlegt sie etwa, ob sie ihre Theorie besser fand als meine?
»Na?«, frage ich nach. Mein Gegenüber stößt einen tiefen Seufzer aus. »Genial. Woher hast du bloß diese Fantasie? Ich wäre froh über einen Bruchteil davon.«
»Den hast du doch! Deine These mit der Angaard als Harolds Mutter fand ich klasse. »Ehrlich?« Ich nicke wie verrückt, um sie zu überzeugen. »Ohne Fantasie könntest du dir sicher kaum ausmalen, was ich erzähle, geschweige denn, dich emotional so hineinsteigern. Ich kenne sonst keine Frau, der es peinlich ist, über eine Affäre zu reden, die sie noch gar nicht hatte, noch dazu mit einem fremden Mann, dessen Gesicht sie nur aus Filmen kennt, an einem Ort, an dem sie noch nie war. Also, wenn das nicht für eine ausgeprägte Vorstellungskraft spricht, was dann?« Charline schmeißt mir ein Kissen an den Kopf. Ich glaube, es ist das Kissen, woran sie vorhin herumgekaut hat. Meine Wange fühlt sich feucht an. Ich behalte es lieber – sonst verschluckt sie es womöglich gleich, wenn’s ans Eingemachte geht …
Wir beschließen, kurz zu unterbrechen und uns ein bisschen aufzulockern. Charline verschwindet ins Badezimmer. Ich lüfte schnell durch, sorge für Zigaretten- und Sektnachschub und tausche die erste heruntergebrannte Rutsche Teelichte aus.
Fall erledigt
»Haben wir noch was von der Entenbrust?«, will Charline wissen. Sie steht im Flur.
»Ja, im Kühlschrank. Bring mir auch was mit!« Wir machen es uns wieder gemütlich und essen das fettige Zeug gleich mit den Fingern. Ich breite eine Wolldecke aus. Wir schlüpfen mit den Beinen drunter. Unsere Körper haben sich an die Hitze gewöhnt. Mit Decke ist es kuscheliger. Wir mögen das beide. Ich schaue mich um. Das Meer von Kerzen lässt alles so ruhig und friedlich aussehen. Kein Wind, kein Geräusch stört ihre geraden, hoch aufgeschossenen Flämmchen. Es ist ein perfektes Bild. Ich fotografiere es innerlich, um es genauso abrufen zu können, wenn ich mich an diesen Abend erinnere. Und ich werde mich an diesen Abend erinnern – bestimmt noch viele, viele Male. Was ich für mein Wohlbefinden brauche, ist in Reichweite: Essen, Trinken, Fluppen, Charline. Mensch, geht’s mir gut. Ich fühle mich so entspannt und zufrieden wie schon lange nicht mehr.
»Erzähl weiter vom Verhör und von Troy Arch…ch…ch… cher!«, schmatzt Charline und stupst
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