Auf das Leben
umgehen, und sie benutzte beides. Hella hat mindestens sieben Deutsche umgebracht, persönlich, direkt. Die bei den Explosionen Getöteten sind da noch nicht mit eingerechnet. Sie konnte eine Straße entlanggehen, mit wiegenden Hüften, und einem Wachmann oder einem Posten an einer Wegsperre oder einer Brücke zulächeln und ihn dann später erledigen, wenn er nicht mehr im Dienst war. Einmal waren drei von uns von einer Patrouille von vier Soldaten geschnappt worden, während wir eine Brücke erkundeten, ohne Waffen, um unschuldig auszusehen. Sie zwangen uns, auf eine kleine Holzpalisade, die ein Eisenbahnstellwerk umgab, zuzumarschieren - ich nehme an, sie wollten dort einen Befehl bekommen, was sie mit uns tun sollten. Wir taten, als wären wir blöde Bauernlümmel - und da ging Hella an uns vorbei und warf eine Granate auf das Stellwerk. In dem Durcheinander gelang es uns, zwei von ihnen zu überwältigen und zu töten, ihre Waffen mitzunehmen und zu fliehen.
Dann, eines Tages, wurde ich geschnappt. Wie die meisten von uns irgendwann.
Noch heute können viele Leute nicht verstehen, dass man nie im Voraus wusste, was die Deutschen tun würden. Manchmal erschossen sie alle, manchmal verbrannten sie alle, manchmal erschossen sie nur ein paar, und manchmal schickten sie die Gefangenen in ein Arbeitslager - es war nicht vorherzusagen. Wir wussten damals natürlich nicht genau, was da passierte, aber ich habe später einiges gelesen - es muss tatsächlich ziemlich chaotisch gewesen sein.
Hella wurde erschossen. Einfach so. Sie stellten einige von uns in eine Reihe und erschossen sie. Der Rest - wir mögen vielleicht noch zehn oder zwölf gewesen sein - wurde gezwungen zuzuschauen, dann wurden wir auf einen Lastwagen geladen und zu einem kleinen Lager in der Nähe gebracht. Wir dachten, dass wir dort ebenfalls erschossen würden. Aber stattdessen wurden wir ausgeladen, geschlagen und gezwungen, Gruben zu graben, Gräben, irgendwas in der Art. Es war eine schwere Arbeit, es war kalt, es war Winter. Dann wurde der Geschützlärm lauter, und wir wussten, dass die Front näherrückte. Eines Morgens mussten wir uns aufstellen und losmarschieren, Richtung Westen. Wir wussten, dass dies nicht die Richtung war, in der uns die Befreiung erwartete, deswegen liefen wir natürlich langsam oder versuchten, zu entkommen. Doch die Bewacher waren jetzt sehr nervös und erschossen jeden, der stolperte oder versuchte aus der Reihe zu schlüpfen.
Ich sagte mir, dass ich eigentlich nichts mehr zu verlieren hatte - so dachten wir alle, Rabbi, und ich war erst siebzehn, wie hätte ich glauben können, ein langes Leben vor mir zu haben? -, deshalb nützte ich eines Abends die sich bietende Gelegenheit und schlich mich in die Wälder. Sie sahen mich und schossen. Ich hatte, was man Glück im Unglück nennen könnte, Rabbi. Eine Kugel riss mir ein Stück vom Finger weg, wie Sie sehen können. Mich durchfuhr ein Schmerz, und ich fiel durch den Aufprall der Kugel zu Boden in den Schnee. Ich fasste mir an den Kopf. Da war Blut, viel Blut, und ich nehme an, dass es von Weitem so aussah, als stamme das Blut von einer Wunde am Kopf. Niemand hatte Lust, durch den tiefen Schnee den Abhang hinunterzulaufen und nachzuschauen, also ließen sie mich liegen. Vergeudeten noch nicht mal mehr Munition für mich. Die wurde inzwischen nämlich tatsächlich knapp.
Der kalte Schnee stoppte die Blutung, und später gelang es mir, mit der rechten Hand ein Stück Stoff um die Wunde zu binden, dann blieb ich einfach liegen, unter dem Schnee versteckt, und wartete. Bis ich Lastwagen und Stiefel auf der Straße hörte. Da kam ich heraus, mit erhobenen Händen, und - nun, der Rest ist Geschichte. Ich war gerettet. Ich sagte, dass ich Partisan war und konnte glücklicherweise die Fragen beantworten, die der Kommandant mir stellte. Ich fror, war hungrig, geschwächt und müde. Dann wurde ich in eine Art Feldlazarett gebracht oder was auch immer und hatte ein paar Tage Fieber, aber der Krieg ging weiter, ohne mich. Und später kam ich hierher, ich hatte ja keinen besonderen Ort, wo ich hätte hingehen können.
Vor einiger Zeit ist mir dann plötzlich eingefallen, dass es kein Zeichen der Erinnerung an Hella gibt, nirgendwo auf der Welt. Es gibt keine Dokumente, keine Verwandten und noch nicht mal ein Grab von ihr. Deshalb würde ich gern eine Gedenktafel für sie kaufen. Sie war meine erste Liebe, und sie hat mir geholfen und mich gerettet - ich denke einfach, dass
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