Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
des Weltalters, und die komplizierten Prozesse dabei sind keineswegs befriedigend verstanden. Man rechnet mit der Saha-Gleichung, einer Erweiterung der ohnehin schon schwierigen Navier-Stokes-Gleichung der Strömungsmechanik. Aber auch sie beschreibt keine Magnetfelder oder Turbulenzen, die damals eine Rolle gespielt haben müssen. Und in einem viel besser beobachtbaren Fall versagt die Saha-Gleichung sogar völlig: Sie kann die hohe Temperatur der Sonnenkorona nicht erklären. Das theoretische Fundament des Mikrowellenhintergrundes ist also keineswegs so fest wie oft angenommen. Und noch zerbrechlicher ist unser Wissen über den Kosmos vor diesem Zeitpunkt.
DUNKLE PIONIERE ÜBERALL
Heute wird gerne verschwiegen, wie sehr die Homogenität des Mikrowellenhintergrundes überraschte. Die Temperatur- und Dichteschwankungen sind im Verhältnis nur etwa so groß wie jene, die durch Schallwellen im Luftdruck der Atmosphäre entstehen. Noch 1989, nach den ersten Resultaten des COBE-Satelliten, hielt man es für unmöglich, dass sich aus diesen winzigen Fluktuationen Strukturen wie Galaxien zusammenballen konnten – so, als ob sich der Schall von Flüstergeräuschen zu einem tropischen Wirbelsturm hochgeschaukelt hätte.
Die Forscher rätselten und nahmen schließlich die Dunkle Materie zu Hilfe: Da man sie nicht sieht, wurde einfach angenommen, dass sie viel stärker fluktuierte als die normale Materie. Damit konnte man hochrechnen, wie sich die Dunkle Materie, gleichsam als Vorauskommando, zu unsichtbaren Galaxienhalos zusammenfand, in deren Gravitationspotenzial sich dann die normale Materie beeilte hineinzuschlüpfen und zu leuchten. Es ist meisterhaftes Marketing des Standardmodells, dass dieses Szenario inzwischen als ‚unabhängiger‘ Beweis für Dunkle Materie gilt. Denn ihre Menge wird dabei keineswegs gemessen, vielmehr wird umgekehrt eine neue willkürliche Zahl im Modell installiert: die ‚Stärke der Anfangsfluktuationen‘.
Dass großräumige Muster im Mikrowellenhintergrund sich keineswegs in der Galaxienverteilung widerspiegeln, wurde schon erwähnt. Insgesamt kann man die Entwicklung des Universums von der Entkopplung bis zur Galaxienbildung also nur mit ein paar gewaltsamen Annahmen erklären, die immer wieder auf neue Schwierigkeiten stoßen wie beim Fehlschlag der Halo-Hypothese bei kleinen Begleitgalaxien. Im schlimmsten Fall muss dies wieder mit einem neuen freien Parameter ins Lot gebracht werden. Die Schamfrist, innerhalb derer ein Problem zu einer Entdeckung transformiert wird, dauert dabei maximal eine Generation von Kosmologen.
GLÄSER, DIE NICHT ZU PUTZEN SIND
Neben diesen Schwachpunkten der Theorie gibt es noch einiges zu den Daten anzumerken. Deren Winkelauflösung sowie die Sensibilität der Instrumente sind beeindruckend, aber beobachten wir mit gleicher Präzision tatsächlich den heißen Urzustand? Leider ist unser Blick darauf getrübt, vor allem durch die dichte Staub- und Sternenscheibe der Milchstraße. Jene Urknallkritiker, die mit Gewalt am Steady-State -Modell eines immer gleich aussehenden Universums festhalten wollen, bringen oft vor, dass die ganze Hintergrundstrahlung von knapp 3 Kelvin durch intergalaktische Staub- und Molekülwolken verursacht sein könnte. Das kann man kaum ernst nehmen, plausibel erscheint jedoch, dass diese Effekte zumindest in der Scheibenebene der Milchstraße erhebliche Ungenauigkeiten verursachen. Dass es den Bearbeitern der Rohdaten dagegen gelingt, diese Fehlerquellen bis auf Millionstel Kelvin herauszurechnen, kann man daher fast ebenso wenig ernst nehmen. Die ehrgeizige Korrektur im Band der Milchstraße ist jedoch essenziell für die mathematische Auswertung, weil man dabei Kugelflächenfunktionen benutzt, die nun mal die ganze Himmelssphäre benötigen. Den fehleranfälligen Bereich der Milchstraße mag man daher ebenso ungern weglassen wie abgesplitterten Wandputz bei einem zu restaurierenden Fresko, aber die Rekonstruktion wird hier wirklich zur Kunst. 224
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Ein Experte ist jemand, der alle Fehler gemacht hat, die man in einem sehr engen Gebiet machen kann. – Niels Bohr
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Denn es ist, gelinde gesagt, eine Herausforderung, alle möglichen Vordergrundquellen herauszufiltern: die Staubscheibe des Sonnensystems, braune Zwerge, unsichtbare schwach leuchtende Sterne, interstellaren Wasserstoff oder Galaxien mit geringer Flächenhelligkeit, die sich vom dunklen Nachthimmel nicht unterscheiden 225 – und erst recht weiß man nichts
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