Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
MIKROWELLENHINTERGRUND
„Jungs, wir sind aus dem Rennen!“, rief Robert Dicke, Astrophysiker in Princeton, seiner Arbeitsgruppe zu, nachdem er den Telefonhörer aufgelegt hatte. Arno Penzias, ein bei den Bell Laboratories beschäftigter Physiker, hatte ihm gerade berichtet, eine am Nachthimmel gleichmäßig verteilte Mikrowellenstrahlung gefunden zu haben. Penzias, der die Bedeutung seiner Entdeckung zunächst nicht erkannte, war zu Ohren gekommen, dass Dicke nach den Überresten einer heißen Strahlung fahndete, von der das Weltall relativ kurz nach dem Urknall erfüllt war. Dickes Arbeitsgruppe baute selbst schon an einer Antenne, als sie erfuhr, dass sie von den nur sechzig Kilometer entfernten Bell Labs überholt worden war. Den Nobelpreis für die Entdeckung erhielten Penzias und sein Kollege Wilson 1978. Dicke ging leer aus.
Die Wasserstoff- und wenigen Heliumkerne im frühen Universum waren wegen der großen Hitze zunächst von ihren Elektronen getrennt, sodass diese erst nach einer Phase der Abkühlung ihr Nomadenleben aufgaben und mit den Kernen stabile Atome formten. Im Gegensatz zum vorherigen Plasmazustand, in dem geladene Teilchen durcheinander schwirrten, war der Kosmos nun weitgehend neutral, und elektromagnetische Wellen, also Licht, konnten sich erstmals ungehindert ausbreiten, ohne von elektrischen Ladungen belästigt zu werden – man spricht daher auch von der ‚Entkopplung‘ von Strahlung und Materie. Die Überbleibsel dieses frühen Feuerballs wurden inzwischen mit den Satelliten COBE, WMAP und Planck [71] mit ungeheurer Präzision vermessen – man sieht auch an ganz schwarzen Stellen des Himmels eine winzige Strahlungstemperatur von 2,72 Kelvin über dem absoluten Nullpunkt. [72] Daraus errechnete man, dass das Universum 380 000 Jahre nach dem Urknall bei einer Temperatur von etwa 3000 Kelvin durchsichtig geworden sein muss wie ein verlöschendes Feuer. Die inzwischen um den Faktor 1100 abgekühlte, erstaunlich gleichmäßige Hintergrundtemperatur von knapp 3 Kelvin weist kleinste Unterschiede im Bereich von Millionstel Kelvin auf, die auf den hochauflösenden Karten ein Muster von zufälligen Schwankungen zeigen. Insbesondere die Größe der Strukturen auf dem kosmischen Fleckenteppich ist Gegenstand intensiver Untersuchungen, zeigt sie doch die früheste Information, die uns aus dem Universum erreicht.
2:0 FÜR DEN URKNALL?
Trotz der Daten von Hubble, die auf eine Expansion des Universums hindeuteten, konnte man in den 1960er Jahren noch eine Reihe von Argumenten hören, die für einen ewigen Gleichgewichtszustand ohne Expansion sprachen. Die Debatte um diese Steady-State -Theorie wurde durch den kosmischen Mikrowellenhintergrund weitgehend beendet, da sogar die meisten ihrer Anhänger darin ein klares Indiz für einen frühen, heißen Zustand des Universums sahen. Wie so oft, wenn sich der Blick auf zwei Alternativen verengt – Wissenschaft ist nicht kompetitiv –, verdeckt die Niederlage der einen, dass ja auch die siegreiche Urknalltheorie falsch sein könnte. Zwar trifft das Bild eines expandierenden Universums mit einem heißen Urzustand wohl zu, aber das damit verbundene Modell stößt bei quantitativer Überprüfung – und Wissenschaft ist quantitativ – auf etliche Widersprüche.
Heftige Widerrede wird nun von den Verfechtern des Standardmodells kommen, die nicht müde werden, gerade den kosmischen Mikrowellenhintergrund als hervorragende Bestätigung anzuführen, die überraschend genau mit den ‚Vorhersagen‘ übereinstimme.
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Er wunderte sich, daß den Katzen gerade an der Stelle zwei Löcher in den Pelz geschnitten wären, wo sie die Augen hätten. – Georg Christoph Lichtenberg
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Aber man muss methodisch fragen: Welche und wie viele Messwerte teilt uns die Natur in purer Form mit, und wie viele Zahlen haben wir im Gegensatz dazu als freie Parameter in der Hand, um unser Modell an die Rohdaten anzupassen? Es sind einige: Größen wie Dichte, Temperatur und Ausdehnung des frühen Universums sind keineswegs eigenständig messbar, und wir weisen ihnen deshalb die Werte zu, die mit dem Modell am besten verträglich sind. Und obwohl Robert Dicke und andere sogar schon früher mit der Hintergrundstrahlung rechneten, lagen ihre Vorhersagen mit 28 und 40 Kelvin doch mehr als zehnfach zu hoch 223 – später passte man das Modell den 2,72 Kelvin an.
Schon der Prozess der Entkopplung von Strahlung und Materie dauerte etwa 115 000 Jahre, damals fast ein Drittel
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