Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
Ladung zu jedem Zeitpunkt genau. Man möchte meinen, dass die Physik nun eine Formel zur Hand hat, die genau angibt, wie viel Licht einer bestimmten Wellenlänge in welche Raumrichtung abgestrahlt wird. Hat sie aber nicht! Wenn Sie auch nur einen Funken Ehrgeiz für Naturerkenntnis verspüren, ist dies eine höchst befremdliche Tatsache. Zwar gibt es Spezialfälle wie jene von Heinrich Hertz verwendete Antenne, in denen man die Abstrahlung exakt berechnen kann. In anderen Situationen, etwa wenn Elektronen in einer Röntgenröhre auf Metall prallen und stark abgebremst werden – physikalisch handelt es sich dabei ebenfalls um eine (negative) Beschleunigung –, gibt es Näherungsformeln, welche die Energieabstrahlung ungefähr wiedergeben. In voller Allgemeinheit ist aber noch unverstanden, wie beschleunigte Ladungen Licht erzeugen. Warum?
DIE ENERGIERECHNUNG OHNE DEN WIRT GEMACHT
Am besten erklärt dieses Problem Richard Feynman in seinen Lectures on Physics, einem hervorragenden und dabei verständlichen Buch. Nach längeren Ausführungen über die Elektrodynamik schreibt Feynman: 68
„Aber wir wollen einen Moment anhalten, um Ihnen zu zeigen, dass dieses enorme Gebäude, mit dem sich so viele Phänomene wunderbar erklären lassen, letztlich auf die Nase fällt … – wir wollen nun eine ernsthafte Schwierigkeit diskutieren, nämlich das Versagen der klassischen elektrodynamischen Theorie.“
Was meint er mit dieser provokativen Aussage? In der Tat widersprechen sich hier physikalische Formeln. Es leuchtet ein, dass eine Ladung mit jeder Beschleunigung Bewegungsenergie bekommt, die zum Beispiel aus dem elektrischen Feld einer anderen Ladung stammt, die sie zu sich hinzieht. Wie aber liegt der Fall bei nur einer Ladung? Es existiert eine Formel, die den Energieinhalt ihres elektrischen Feldes angibt, wobei es auf die Richtung der Kraftpfeile dann nicht mehr ankommt, sondern nur auf die Stärke. Und die Stärke des elektrischen Feldes in der Umgebung einer Ladung bestimmt das Coulomb-Gesetz. Zählen wir nun den Energieinhalt in allen Raumgebieten, die ein Elektron umgeben, systematisch zusammen, erhalten wir plötzlich eine unendlich große Energie. Ein vollkommen absurdes Ergebnis.
Verantwortlich für diese Katastrophe ist übrigens die Umgebung des punktförmig angenommenen Teilchens, wo immer höhere Energiekonzentrationen herrschen, je näher man ihm kommt. Wenn man Einsteins berühmtem Zusammenhang zwischen Energie, Masse und Lichtgeschwindigkeit, E = mc 2 , nicht widersprechen will, bedeutet dies, dass jedes der Abermilliarden Elektronen in unserem Körper eine unendliche Masse haben müsste! Ein wahrhaft schwerwiegender Widerspruch, denn im Experiment kann man das Elektron und sein gleich schweres Antiteilchen, das Positron, durch den Aufprall eines Photons, also mit einer Winzigkeit von Lichtenergie erzeugen.
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Die Probleme, die mit der inneren Struktur des Elektrons zusammenhängen, sind noch sehr weit von einer Lösung entfernt. 69 – Enrico Fermi
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Einsteins Formel wird man noch am wenigsten in Zweifel ziehen. Also kann wohl die Formel für den Energieinhalt nicht ganz stimmen. Oder ist das Elektron doch nicht punktförmig? Aber niemand konnte je seine Ausdehnung messen. Die von der Theorie verlangte unermesslich hohe Energiedichte in der Nähe des Elektrons führt dazu, dass wir sein Benehmen bei entsprechend hohen Beschleunigungen nicht verstehen können. Es könnte beliebig Licht abstrahlen, indem es sich aus dem eigenen unendlichen Energievorrat bedient – so als würde es sich nach Lust und Laune an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen oder „sich an den eigenen Schnürsenkeln festhalten“, wie Feynman sich ausdrückt. Auch der russische Nobelpreisträger Lew Landau betont in seinem Standardwerk der Theoretischen Physik, dass hier der Hund begraben liegt: 70
„Es kann hier die Frage entstehen, wie die Elektrodynamik, in der ja die Energieerhaltung gilt, zu so einem absurden Ergebnis führen kann. Die Wurzel dieser Schwierigkeit liegt in der unendlich großen elektromagnetischen ‚Eigenmasse‘ der Elementarteilchen.“
Leider ist von diesem gravierenden Problem der Physik wenig mehr bekannt, als dass es grausam schwierig ist.
VERSUCHEN SIE ES ERST GAR NICHT
Bevor Sie nun zur Reparatur der Elektrodynamik eine Theorie des nicht-punktförmigen Elektrons entwerfen oder Ihre Kreativität in eine neue Formel seines Energieinhalts investieren, muss ich Sie weiter demoralisieren. Es
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